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Kirche in WDR 2 | 24.12.2024 | 05:55 Uhr
Endlich
Endlich. Endlich Weihnachten. Endlich eine Unterbrechung im atemlosen Alltag. Endlich Lichter, in einer Zeit, die sonst oft so dunkel ist: Wo Skandal auf Skandal folgt, Hiobsbotschaft auf Hiobsbotschaft. So sehr, dass man sich manchmal kaum noch traut, die Nachrichten einzuschalten. Oder die Post vom Vermieter zu öffnen. All das hat jetzt Pause. Die Arbeit ruht, die Schulferien haben begonnen. Man muss nichts müssen. Man darf dürfen. Man darf Weihnachtslieder singen: „Engel auf den Feldern singen“ oder „Last Christmas“, je nach Geschmack.
Und alle Lieder handeln von Liebe und Miteinander. Man darf ruhig mal nur zweiter sein, das Rennen einstellen. Ruhig mal eine günstige Gelegenheit verpassen. Ruhig mal keinen Gewinn machen. Man darf spüren, dass es schön ist, füreinander da zu sein. Und dass jemanden in den Arm zu nehmen, keine Zeitverschwendung ist. Man darf mehr Kekse essen als der Ernährungsberater erlaubt und weniger Sport treiben, als es die Fitnessuhr vorschreibt.
Selbstoptimierung bedeutet in diesen Tagen: Das Herz stärken. Und zwar indem man lächelt und einander Geschenke macht. Freundschaften pflegt, statt ins Fitnessstudio zu gehen. An Weihnachten geht das alles. Es ist wie Einatmen nach einer langen Zeit, in der man die Luft angehalten hat. Eine Befreiung. Eine Gegenwelt, die man sich schafft. Wo plötzlich geht, was einem im Rest des Jahres irgendwie nicht gelingt. An Freundlichkeit. An Mitgefühl. Familie. Frieden. Mehr oder weniger. Für ein paar Tage. Momente nur. Danach ist alles wieder so wie vorher.
Man kann das lächerlich nennen. Kitschige Alltagsflucht. Und das ist vielleicht gar nicht so falsch. Man kann sich wünschen, das alles zu lassen, damit jeder Tag möglichst wie der andere ist. Ich möchte das für mich nicht. Weil ich das Luftholen brauche. Das Anderssein bei Kerzenschein. Weil ich die kitschigen Texte und die frommen Lieder brauche. Und dass alle Filme ein Happy End haben. Wenigstens für ein paar Tage.
Ich brauche das, weil es mich daran erinnert: All die Alltagshektik, die negativen Schlagzeilen, die Sorgen und Zwänge – das ist nicht mein ganzes Leben. Da gibt es auch noch das andere. Da gibt es Hoffnung. Es gibt Miteinander. Es gibt das „einfach da sein“, ohne das ich begründen muss, warum und wieso. Es gibt „Frieden auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen“.
Und auch wenn diese paar Tage so schnell vorbei sind. Es bleibt doch die Gewissheit: Das alles ist da. Ich habe es ja erlebt. Das andere, der Alltag, der Stress, die Sorgen, die mich ansonsten das Jahr über vor sich hertreiben, die sind nicht alles. Und bestimmt nicht das Wichtigste. Diese wenigen Tage des Andersseins zeigen mir: Es geht. Und das macht mir Hoffnung. Und von dieser Hoffnung zehre ich. Zur Not bis nächstes Jahr Weihnachten.
Redaktion: Rundfunkpastorin Sabine Steinwender-Schnitzius