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Hörmal | 26.12.2024 | 07:45 Uhr
Trotz aller Kontraste
Gestern war der 1. Weihnachtstag, und heute liegen die ersten Tannenbäume schon auf der Straße. Ok, wenn ich einen geschmückten Tannenbaum schon seit Anfang Dezember in meiner Wohnung gehabt hätte, dann würde es mir jetzt auch reichen: Der ganze Schmuck und die Deko sind irgendwann mal gut, mag der Tannenbaum noch so schön geschmückt gewesen sein, mit Kugeln, Glitzer und Stern als Krone auf der Tannenspitze. Irgendwann sieht man den Glanz schon nicht mehr. Allerdings ist so ein abruptes Ende direkt am zweiten Weihnachtstag dann doch auch etwas hart: „O Tannenbaum, o Tannenbaum“ und jetzt „Weg mit dem Tannenbaum“. Das ist schon ein heftiger Kontrast.
Dann aber passt das doch auch wieder zu dem, was die katholische Kirche heute, am zweiten Weihnachtstag, begeht: den Gedenktag des Heiligen Stephanus. Denn das ist auch ein heftiger Kontrast: Nach dem Fest der Geburt Jesu gestern, wo ja das Leben gefeiert wurde, geht es heute um den Mord an einem der ersten Christen. Stephanus war nämlich ein begnadeter Prediger, der von Jesus erzählte, und dies offenbar auch sehr erfolgreich. Das neidete man ihm, und so will man ihn loswerden. Falsche Zeugen, falsche Behauptungen und am Ende dann Hinrichtung. Das volle Programm, um jemanden endgültig loszuwerden: „Weg mit dem!“ Das erinnert übrigens sehr an das Ende des Lebens Jesu, dem es ähnlich ergangen ist. Er war erfolgreich und musste auch weg: falsche Zeugen, falsche Behauptungen und schließlich Hinrichtung.
Aber warum dieser Kontrast an Weihnachten? Verderben solche Gedanken von Tod und Hinrichtung nicht die festliche Stimmung von Geburt, Leben und Frieden? Ja – tun sie. Aber so ist das Leben – voller Kontraste. Ich muss da an letzte Woche denken: fröhliche Stimmung auf dem Weihnachtsmarkt in Magdeburg. Den kenne ich, denn ich war von meinem Kloster aus vor vielen Jahren in Magdeburg eingesetzt. Der entsetzliche Terroranschlag hat nicht nur das Leben von Menschensinnlos ausgelöscht, sondern sät auch Angst und Schrecken. Niemand soll sich mehr sicher fühlen – auch nicht auf einem Weihnachtsmarkt. Und das perfide daran: Wo doch Weihnachten gerade das Fest des Lebens und des Friedens ist, herrscht auf einmal mörderische Gewalt. Der Kontrast von Leben und Tod ist wie ein ständiger Begleiter. So eben wie schon mit Stephanus heute, am zweiten Weihnachtstag.
Mich machen alle diese Kontrasterfahrungen von Leben und Tod etwas ratlos. Warum tun Menschen sich einander immer wieder so viel Leid an? Wird es denn niemals ein ungetrübtes Feiern geben und wirklichen Frieden in der Welt?
Mir hilft ein Gedanke von Weihnachten weiter. Ich frage mich: Was muss das für ein Gott sein, der sich auf so eine Welt einlässt – in der er selbst am Ende hingerichtet wird. Offenbar hat Gott sein Vertrauen in das Leben nicht aufgegeben, sonst könnte ihm diese Welt ja egal sein. Und das ist sie ihm nicht – trotz oder wegen aller Kontraste von Leben und Tod.