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Kirche in WDR 2 | 04.02.2025 | 05:55 Uhr
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Alternativen zur Rache
O-Ton: „Eine Milliarde für Güllen, wenn jemand Alfred Ill tötet.“
Autor: Ein schockierendes Angebot für die Bewohner der Stadt Güllen. So etwas haben sie nicht erwartet von der alten Dame, die so unverhofft bei ihnen aufgetaucht ist.
O-Ton: „Eine Milliarde für Güllen, wenn jemand Alfred Ill tötet.“
Autor: Alfred Ill ist eigentlich ein angesehener Bürger der Stadt. Aber er trägt ein dunkles Geheimnis mit sich. Vor vielen Jahren hat er eine Frau geschwängert und sie dann sitzenlassen. Alfred Ill ist fein raus gewesen. Seine Geliebte jedoch musste den Ort mit Schimpf und Schande verlassen.
Jetzt ist sie wieder da. Alt, aber reich. Nun will sie Gerechtigkeit für sich. Und sie hat genug Geld, um ihren Willen durchzusetzen.
O-Ton: „Ich gebe euch eine Milliarde und kaufe mir dafür die Gerechtigkeit.“
Autor: Das ist die Ausgangslage in dem Stück „Der Besuch der alten Dame“ von Friedrich Dürrenmatt. Die Bewohner der Stadt Güllen weisen das Angebot zunächst entrüstet zurück. Dann allerdings fangen sie an, einzukaufen. So als hätten sie die Milliarde schon in der Tasche. Irgendwann sind sie derart überschuldet, dass die Stimmung kippt. Alfred Ill wird immer mehr unter Druck gesetzt. Niemand will ihm helfen und schließlich fügt er sich in sein Schicksal. Daraufhin kommen alle Männer von Güllen zusammen und führen den Mord gemeinsam durch.
O-Ton: „Anständig ist nur, wer zahlt, und ich zahle. Güllen für einen Mord, Kon¬junk¬tur für eine Leiche.“
Autor: So einfach ist das.
Mit Gerechtigkeit hat das allerdings nichts zu tun. Die alte Dame nimmt das Wort zwar immer wieder in den Mund. Aber Gerechtigkeit ist etwas, das möglichst allen zugute kommt. Daran hat die alte Dame jedoch kein Interesse. Denn sie erinnert sich:
O-Ton: „Frierend saß ich im D-Zug nach Hamburg. Da beschloss ich, zurückzukommen. Einmal.“
Autor: So geht es, wenn ein Mensch seine persönliche Form von Gerechtigkeit durchsetzt. Weil daraus aber selten etwas Gutes entsteht, weist uns die Bibel auf eine andere Möglichkeit hin: Vergebung und Versöhnung.
Mag sein, dass Versöhnung nicht immer gelingt. Mag auch sein, dass Vergebung von manchen Menschen zu viel verlangt ist. Zu groß das Unrecht, zu tief die Enttäuschung, zu schmerzhaft die Verletzungen. Aber zumindest sollen wir wissen: Rache ist nie alternativlos. Ob wir die eigenen Wünsche durchsetzen oder ob wir nach anderen Wegen suchen, das ist unsere Entscheidung. Und für die sind wir verantwortlich.
Quelle:
Hörspiel „Friedrich Dürrenmatt. Der Besuch der alten Dame“, © 2015 Diogenes Hörbuch, CD 1, ?Bayerischer Rundfunk 1957. ISBN 978-3-257-80359-4, LC unbekannt.
Redaktion: Rundfunkpastorin Sabine Steinwender-Schnitzius