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Kirche in WDR 2 | 08.02.2025 | 05:55 Uhr
Umarmung
„Free hugs“, also „Umarmung umsonst“. Das gab‘s doch früher oft, oder? Leute, die sich so ein Pappschild umgehängt haben. Auf jeder Demo, bei jedem Open-Air-Konzert oder einfach samstags in der Fußgängerzone. Da konntest Du hingehen, zu wildfremden Menschen und dich einfach mal drücken lassen. Free hugs! Nicht jeder hat Familie oder ist zu zweit zuhause und wird sowieso jeden Tag mal gedrückt.
„Lieber einmal zu viel umarmt!“ Den Satz habe ich neulich in einem Podcast aufgeschnappt, Das war bei „Ansprechbar“ mit Samuel Koch. Der Schauspieler und Autor spricht mit Gästen, deren Leben sich plötzlich verändert hat. Eine Krankheit, ein Verlust, und Du musst Dich völlig neu ins Leben einfinden.
In einer Folge ist Kim Fleitmann bei Samuel Koch zu Gast. Sie hat mit 14 Jahren ihren Vater verloren. Heute leitet sie Gruppen für trauernde Kinder und Jugendliche in einem Hospizdienst. Die beiden sind sich schnell einig: „Lieber einmal zu viel umarmt“ ist ein guter Grundsatz. Klar, mit der Sensibilität: Das passt nicht immer und auch nicht für jeden. Es ist immer gut, vorher zu fragen: Darf ich dich mal drücken? Und wenn’s dann ein Ja gibt, kann es unendlich guttun.
Mir fällt auf: Vieles, was mir gut guttut, kann ich auch allein tun. Eine gute Flasche Wein aufmachen, ein heißes Bad nehmen, spazieren gehen in der Wintersonne… aber umarmen kann ich mich nicht selbst. Zwei Hände auf meinem Rücken, dazu brauche ich jemanden, der mich in seine Arme nimmt.
Deshalb finde ich das einen schönen Grundsatz: Lieber einmal zu viel umarmt!
Neulich habe ich auf dem Weg zum Bäcker eine Frau getroffen. Sie hat im letzten Jahr ihren Mann verloren. Manche weichen dann aus, weil sie unsicher sind: Was soll ich sagen? Ich frag lieber ganz direkt: Mensch, wie geht es dir inzwischen? Und wenn ich das Gefühl habe, das passt jetzt, frage ich auch: Darf ich dich mal drücken?
Eine ganz besondere Umarmung habe ich selbst erlebt, als ich in Trauer war: Mein Bruder ist vor einigen Jahren überraschend gestorben, wir stehen am Grab, und ein alter gemeinsamer Freund sagt nicht nur „mein Beileid“, sondern nimmt mich in den Arm. Und dann legt er noch seine Hand auf mein Herz. Die flache Hand von vorne auf mein Herz. Das war ein Trost, den ich wirklich körperlich gespürt habe. Das ging durch und durch. Also ja: Lieber einmal zu viel umarmt!
Redaktion: Rundfunkpastorin Sabine Steinwender-Schnitzius