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Kirche in WDR 2 | 20.02.2025 | 05:55 Uhr
Optische Täuschung
Im Januar war ich das erste Mal in Letmathe im Sauerland. Genauer gesagt, im Kiliansdom. Dort habe ich den Mond gesehen und bewundert- in einer Kirche. Sehr besonders. Eine international renommierte Kunstinstallation, die für einige Wochen dort gezeigt worden ist.
Als ich den imposanten XXL- Mond ausreichend bewundert habe, gehe ich in Richtung Ausgang. Da sehe ich, dass man links im Kirchenschiff noch eine Kerze anzünden kann und biege ab. Als ich meine Kerze ins Sandbett setze und meinen Kopf hebe, muss ich plötzlich lachen. Über dem leuchtenden Kerzenmeer hängt eine Jesusfigur an der Wand. Das Kuriose daran ist die Handhaltung von Jesus. Sie sieht im ersten Moment aus wie ein nach oben gestreckter Mittelfinger. Was ist das für ein Bild! Jesus am Kreuz zeigt uns den Mittelfinger – irritierend, weil undenkbar, oder? Ich bin perplex und amüsiere mich über dieses Bild in meinem Kopf, das so überraschend entstanden und so kurios ist.
Seitdem denke ich darüber nach. Was wäre das für eine theologische Botschaft? So nach dem Motto: „Ihr kriegt mich nicht. Ihr könnt mich verspotten, sogar ans Kreuz nageln, aber töten - töten könnt ihr mich nicht. Ich geh zu Gott*“. Oder: „Ihr Looser, was habe ich nicht alles versucht. Ihr kapiert es nicht, worum es geht. Ihr nervt mich so ab. Mir reichts!“
Doch genau das alles sagt Jesus nicht. Er leidet am Kreuz, stirbt durch menschliche Gewalt, durch Verrat. Er verlässt diese Welt und hält uns damit den Spiegel vor. Aber gerade nicht anklagend, sondern trotz allem noch in Liebe. Die Botschaft von Jesus am Kreuz zeigt: Wir sind geliebt, trotz unserer dunklen Seiten. Und: Hass kann sich wandeln. Der Tod ist nicht das Letzte. Das Letzte ist die Liebe. Die allumfassende Liebe von Gott*.
Als ich noch einmal genauer auf Jesus schaue, sehe ich, dass er natürlich nicht nur den Mittelfinger nach oben streckt, sondern Daumen, Zeige- und Mittelfinger, ganz eng aneinander. Somit könnte es, künstlerisch gedeutet, auch eine Segensgeste sein. Das bedeutet wiederum: Selbst am Kreuz, im Sterben, segnet Jesus noch diese Welt, wie sie ist.
Als ich nachher auf dem Kirchenvorplatz stehe, habe ich viel erlebt. Ich habe gestaunt über den XXL- Mond in dieser Kirche. Ich habe gelacht über meine Gedanken zu dem scheinbar mittelfingerzeigenden Jesus. Und ich bin dankbar, dass die Botschaft des Kreuzes eine andere ist, nämlich die allumfassende Liebe – trotz allem.
Quellen:
Mond im Kiliansdom - Pastoralverbund Letmathe
Museum of the Moon – Luke Jerram
Redaktion: Rundfunkpastorin Sabine Steinwender-Schnitzius
