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Kirche in WDR 2 | 05.04.2025 | 05:55 Uhr
Von der Erdkröte lernen zu glauben
Komischerweise sehe ich nie, wie die Kröten über unsere Terrasse marschieren – Richtung Teich. Sie sind einfach plötzlich da. Diese fetten, hässlichen Erdkröten – lateinisch bufo bufo.
Und dann machen sie ficki ficki. Gott sei Dank quaken sie dabei nicht. Sie machen auch Geräusche, es ist aber eher wie ein Gurren. Dabei sitzen die Männchen auf dem Rücken der Weibchen und klammern sich fest.
Wer einmal ein Weibchen hat, verteidigt es hartnäckig. Auf drei Männchen kommt nämlich nur ein Weibchen. Deshalb werden Nebenbuhler mit heftigen Tritten auf Distanz gehalten. Das Laichen selbst dauert 6 bis 12 Stunden – mit Pausen – und die Weibchen laichen 3000 bis 6000 Eier, aus denen sich Kaulquappen entwickeln. Nach etwa drei Monaten verwandeln sie sich in Kröten und gehen gemeinsam an Land. Vermutlich über unsere Terrasse zurück in den Wald.
Gesehen habe ich sie noch nie, die kleinen Kröten. Die Metamorphose – die Verwandlung - muss sich sehr schnell vollziehen – wahrscheinlich mitten in der Nacht.
Ja, denke ich jedes Mal – so ist das Leben. Ich sehe immer nur einen winzigen Ausschnitt von dem Ganzen. Der Fehler ist: Das, was ich sehe, für das Ganze zu halten. Für das Leben.
Dabei sehe ich die Geheimnisse nicht, die Wunder, die stattfinden. Tag für Tag. Ich meine zu verstehen und verstehe doch nicht. Das lerne ich von der Fortpflanzung der Erdkröten. Sie zeigen mir die Lücken. Das Leben ist einfach so viel mehr als das, was ich sehe. Von dem ich glaube, es verstehen zu können.
Der Laichhaufen – die Zehntausenden Eier, die in dieser durchsichtigen Masse aneinanderkleben – vielleicht auch ein wenig eklig sind, das sind meine Möglichkeiten, denke ich. Mit dem Unterschied: Ich kann mein Entwicklungspotenzial nicht sehen. Und doch entfaltet es sich in meinem Leben oft auf wunderbare Weise.
Und noch etwas lerne ich von bufo bufo, der Erdkröte. Sie lieben und leben die Gemeinschaft. Nur in der Gemeinschaft können sie sich entwickeln, um gemeinsam aufzubrechen. Und: Es bleibt niemand zurück. Ich habe noch nie eine tote Kaulquappe gesehen. Oder einen Laichhaufen, der im Mai noch vor sich hindämmert.
Mich trösten die Erdkröten. Die Laichhaufen - die Berge von ungeahnten Möglichkeiten in unser aller Leben. Und die Idee, dass daraus etwas Gutes werden kann. Das ist für mich Glaube.
Redaktion: Rundfunkpastorin Sabine Steinwender-Schnitzius