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Hörmal | 25.05.2025 | 07:45 Uhr
Die Kraft des Ginkos
Es ist dreißig Jahre her, da hat meine Frau auf einem Markt in Berlin einen kleinen Ginko-Baum gekauft. Naja, ehrlich gesagt eher ein Ginko-Pflänzchen. Kaum zehn Zentimeter groß mit genau zwei sehr schönen, kräftig-grünen Blättern. Den winzigen Blumentopf haben wir nach Hause gebracht und auf die Fensterbank gestellt. Wie gesagt, dreißig Jahre ist das her.
Mit dem Wachsen hat sich der kleine Ginko Zeit gelassen. Irgendwann haben wir ihn in einen größeren Blumentopf gesetzt, bald hat er acht oder zehn Blätter hervorgebracht. Im Laufe der Jahre ist er mehrfach mit uns umgezogen.
Es ist 2007, als wir das erste Mal einen kleinen Garten haben. Wir trauen uns, den Ginko draußen einzupflanzen. Er ist immer noch eher ein Strauch als ein Baum. Nochmal ein paar Jahre und einen Umzug später wird er ein letztes Mal umgepflanzt. Robust ist das Bäumchen. Klaglos macht es alles mit und schlägt auch im neuen Garten wieder Wurzeln.
Und was soll ich sagen? Heute schaue ich auf einen fünf Meter hohen Baum. Er hat einen schmalen, starken Stamm, und seine kräftigen grünen Blätter fächern mir Mut zu, jeden Sommer aufs Neue.
Denn dieser Baum hat einfach durchgehalten. Seine Wurzeln haben immer wieder Halt gefunden. Er hat sich auf jede neue Umgebung eingestellt. Und jetzt steht er da, aufrecht und stark. Mich beeindruckt das. Dieser Baum trotzt allen Umständen. Mir scheint, er will mir sagen: Auch Du kannst alles bestehen.
Übrigens: Der Ginko ist die älteste Pflanzenart der Erde. Dieser Baum weiß, wie das Leben sich durchsetzt. Nach dem Atombombenabwurf auf Hiroshima sind Ginkos die ersten Pflanzen, die sich wieder zeigen, dem verseuchten Umfeld trotzen, durch die Erde hervorbrechen und wieder wachsen.
Ich sitze im Garten, schaue auf den Baum und denke: Auch ich brauche Wurzeln. Orte und Menschen, die mir Halt geben. Mein Gottvertrauen, das mich trägt, Überzeugungen und Werte, an denen ich festhalte. Dann kann ich die Welt besser aushalten, und selbst besser durchhalten. So was wie eine Bombe ist noch nicht in mein Leben gefallen. Aber eine schwere Krankheit schon, ein schwerer Verlust auch. Irgendwo habe ich immer wieder Kraft gefunden und bin weitergewachsen. Wie gesagt: Der Ginko fächert mir Mut zu. Jeden Sommer aufs Neue.
Redaktion: Rundfunkpastorin Sabine Steinwender-Schnitzius