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Kirche in WDR 2 | 28.04.2025 | 05:55 Uhr
Allein gelassen
Du hast mich im Stich gelassen. Als sie kamen, bist du weggerannt. Hast mich allein gelassen. Obwohl du genau wusstest, was sie vorhatten. Obwohl dir klar war, dass diese Leute keine Skrupel kennen und keine Zurückhaltung. Trotzdem hast du nicht einmal versucht, mir beizustehen. Du wolltest nur dich selbst in Sicherheit bringen. Selbst um Hilfe zu holen, warst du zu feige.
Du hast nie wissen wollen, was danach mit mir geschehen ist. Nachdem du weggerannt bist. Stattdessen hast du versucht, die Bilder aus deinem Kopf zu verdrängen. Die Schuld zu vergessen.
Aber es ist dir nicht gelungen. Die Bilder sind noch da. Die Gefühle sind noch da. Ich bin noch da. In deinem Kopf. In deinem Herzen. In deiner Seele. Überall sitze ich. Und überall sitzt deine Schuld. Sie wartet auf dich. Lauert Dir auf. Und irgendwann, wenn du nicht damit rechnest, dann kommt sie hoch, die Schuld. Packt sicher zu. Hält dich fest. Lässt dich nicht los.
Wie du damit klarkommen sollst? Was weiß ich! Ich werde dich jedenfalls nicht von deiner Schuld befreien! Ganz bestimmt nicht. Niemand wird mich je dazu bringen, dir zu vergeben!
Dafür musst du dich schon an jemand anderen wenden.
Probier’s doch mal bei Gott. Man sagt, der vergibt alles. Wenn du ehrlich bereust. Nicht irgendwelchen Quatsch faselst von wegen: „Ich hab‘ das alles nicht gewollt.“ Sondern ehrlich sagst: „Ja, ich habe Mist gebaut. Ich weiß das, auch wenn ich es lange nicht zugegeben habe. Aber das war tatsächlich falsch von mir. Genau genommen sogar richtig mies. Und ich habe keine Ahnung, wie ich das wieder gut machen kann.“
Man sagt, dass es hilft, so zu sprechen. Von mir aus auch zu beten, wenn du es so nennen willst. Ich hab‘ mir das abgewöhnt seit jener Nacht, wo du weggerannt bist. Aber vielleicht hilft es dir. Vielleicht hilft dir die Aussicht auf eine Vergebung, die ich dir nicht gewähren kann. Vielleicht hilft dir die Hoffnung, dass das Leben weitergehen kann - trotz der Schuld, die darauf lastet. Trotz der Fehler, die darin gemacht worden sind.
Denn genau dadurch wird Vergebung zu etwas Tröstlichem. Wenn du dein Versagen nicht verdrängst, sondern zugibst. Und wenn dir dann eine Tür geöffnet wird, hinter der sich eine neue Perspektive auftut.
Unter Menschen ist das nicht immer möglich. Manchmal ist Vergebung einfach zu viel verlangt. Aber bei Gott ist das anders. Und wenn du glauben kannst, dass Gott dir vergibt, dann mag die Schuld aufhören, in dir zu lauern und auf dich zu warten. Dann mag es für dich einen Weg geben, um neu damit umzugehen und damit zu leben.
Redaktion: Rundfunkpastorin Sabine Steinwender-Schnitzius
