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Kirche in WDR 2 | 22.04.2025 | 05:55 Uhr
Der Weg der Zärtlichkeit
Für Überraschungen war Papst Franziskus ja immer gut. Bis zum Schluss. Als ich ihn am Sonntag beim traditionellen Urbi-et-Orbi Segen an Ostern im Fernsehen gesehen hab, da war ich überrascht, dass er dann doch noch über den Peterplatz gefahren wurde. So gebrechlich... Und die Ärzte hatten sicherlich von all dem abgeraten. Aber vielleicht wollte er noch ein letztes Mal den Gläubigen nah sein.
Überrascht hatte er ja bereits bei seiner Wahl 2013 mit seinem Papstnamen: Franziskus. Der Name war Programm: Franz von Assisi war der Heilige der Armen. Und: Eine „arme Kirche für die Armen“ – die wollte Papst Franziskus.
Die nächste Überraschung: seine erste Papstreise auf die Flüchtlingsinsel Lampedusa. Wie er da den Kranz ins Mittelmeer geworfen hatte, für all die Namenlosen die bei der Überfahrt ertrunken sind: Ich war überrascht von so viel Mitmenschlichkeit eines Papstes.
Als im Frühjahr seine Autobiografie herauskam – auch das überraschend für einen Papst – da hatte ich sie mir gleich gekauft. Und darin habe ich dann gelesen, warum Franziskus damals nach Lampedusa gefahren war. Beinahe wären nämlich seine Eltern 1927 bei einem Schiffunglück ums Leben gekommen; als sie dabei waren, ihre Heimat Italien zu verlassen, um nach Argentinien auszuwandern. Dass er Kind von Migranten war – das hat Papst Franziskus in der Flüchtlingsfrage so leidenschaftlich gemacht.
„Hoffe“ heißt die Autobiografie dieses außergewöhnlichen Papstes[1]. Und was ich da gelesen habe, das hat mich auch wieder überrascht. Denn hier spricht Franziskus als er selbst, nicht unbedingt als Papst. Als Papst musste er ja immer auch schauen, dass ihm sein Laden nicht um die Ohren fliegt. Und was das für ein Laden ist: Die katholische Kirche ist mit über 1,4 Milliarden Gläubigen zugleich so alt wie wenige andere Institutionen. Ein riesen Tanker. Und: Gerade weil es um den Glauben geht, geht es da mitunter leidenschaftlich zu. Das Ringen, die Grabenkämpfe: Das alles gehört zur katholischen Kirche. Auch das Versagen. Papst Franziskus hatte das nicht ausgeblendet oder übertüncht mit frommen Floskeln, wie das allzu oft passiert.
Die Sprache von Franziskus war einfach und klar. „Alle sind in die Kirche eingeladen, auch geschiedene, homosexuelle und transsexuelle Personen[2]“, schreibt Franziskus z.B.in seiner Autorbiografie. Und weiter: „Diese Menschen sind keineswegs Kinder eines geringeren Gottes. Gottvater liebt sie mit der gleichen bedingungslosen Liebe. (…) Und er begleitet sie auf dieselbe Weise wie uns: voller Nähe, Barmherzigkeit und Zärtlichkeit.“ Diese Sätze hatten mich überrascht. Denn in ihnen strahlen drei Worte auf, von denen dieser Papst Zeugnis gegeben hat, wie wenige sonst: Nähe, Barmherzigkeit und Zärtlichkeit.
Bis zum Schluss hat er die Nähe gesucht. Auch sein letztes Erscheinen am Ostersonntag auf dem Peterplatz: Nähe zeigen. Nahe sein.
Überraschend dann, dass er tags drauf gestorben ist: Am Ostermontag. An dem Tag, da diese wunderbare Geschichte verlesen wird von den zwei Jüngern, die nach der Auferstehung sich auf dem Weg nach Emmaus über Jesus unterhalten. Und plötzlich ist Jesus mitten unter ihnen. Auferstehung in der Begegnung. Vielleicht liegt es an Ostern, dem Fest der Auferstehung, dass ich zwar traurig bin, aber auch irgendwie bestärkt.
Die letzten Sätze in seiner Autobiografie, das sind diese: „Zärtlichkeit ist keine Schwäche. Sie ist vielmehr die wahre Kraft. Sie ist der Weg, den die stärksten und mutigsten Männer und Frauen gegangen sind. Folgen auch wir ihm. Lasst uns mit Zärtlichkeit und Mut kämpfen. Folgt diesem Weg. Kämpft mit Zärtlichkeit und Mut….Ich bin nur ein Schritt.“[3]
Alle, die jetzt um Papst Franziskus trauern, sollten versuchen, diesen Weg für ihn weiter zu gehen: Den Weg der Zärtlichkeit.
[1] Papst Franziskus: Hoffe. München, 2025
[2] Ebd., S. 259f.
[3] Ebd., S. 378.