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Kirche in WDR 2 | 08.05.2025 | 05:55 Uhr
Omas Geschichte vom Weltkriegsende
Meine
Oma hat uns Kindern zum Einschlafen ganz oft Geschichten von früher erzählt,
die sie selbst erlebt hatte. Heute, am 8. Mai muss ich einfach daran denken.
Denn dazu gehört auch die Geschichte, wie damals Arbeitsmigranten, so würde man
heute vielleicht sagen, ausgerechnet unseren Bauernhof gerettet haben.
„Um Gottes willen“ werden vielleicht jetzt
viele denken, …“die hat doch ihren eigenen Enkelkindern keine Kriegsgeschichten
zum Einschlafen erzählt.“ Doch
das hat sie. Meine Oma war alleinerziehende Mutter von 5 Kindern, nachdem ihr
Mann an einer Lungenentzündung gestorben war. Das
war aber erst der Anfang der Einschalfgeschichte meiner Großmutter für uns
Enkel.
Meine Oma war also allein mit fünf kleinen Jungs auf einem Gutshof in der Warburger Börde, in Warburg Hohenwepel. Um diese Arbeit zu schaffen, waren Knechte und Mägde nötig, Lehrlinge und Auszubildende und zudem eine geraume Zahl von Menschen aus unterschiedlichsten Ecken Europas. Und ja, das waren auch landwirtschaftliche Zwangsarbeiter- und Arbeiterinnen.
Meine Oma hat diese Menschen offensichtlich gut behandelt. An einige kann ich mich tatsächlich noch erinnern. Denn noch bis in die siebziger Jahre sind sie auf unseren Hof zu Besuch gekommen. Da war zum Beispiel Professor Dr. Bibiza, ein Kroate mit Professur und Doktortitel. Und da war Bernhard Pilecki, ein polnischer Junge, der nach dem Krieg nach Australien ausgewandert war. Selbst von Down Under kam er nochmal zu uns zu Besuch. Insgesamt also eine internationale Ansammlung, die durch diesen wirren Krieg ausgerechnet auf unseren Hof geführt worden waren.
Meiner Familie gehörte einer der größten Höfe im Dorf. Und als die Amerikaner vorrückten, gegen Kriegsende, da hatten sie es auf unseren Hof abgesehen. Die Amis vermuteten hier deutsche Soldaten und hatten die Absicht, den Hof als eigenes Hauptquartier zu erobern und damit unter Beschuss zu nehmen. Aber: Der Schusswechsel ist ausgeblieben. Warum? Weil eben Professor Dr. Bibiza aus Kroatien Englisch konnte und weil er zusammen mit Bernhard Pilecki aus Polen den Amis entgegengetreten war, „bewaffnet“ mit einem weißen Bettlaken.
Die
Amerikaner nahmen also den Hof friedlich in Beschlag und meine Oma konnte mit
einem Leiterwagen und ihren fünf Kindern auf einen Hof im Nachbardorf fliehen.
Einige Wochen später konnte sie zurück nach Hause. So
kam es, dass eine international besetzte Gruppe aus verfeindeten Ländern und
einige Geflüchtete meiner Oma und ihren fünf Kindern wahrscheinlich das Leben
gerettet hat. Wir Enkelkinder haben diese Geschichte nie mehr vergessen.
Ich arbeite heute im Erzbistum Paderborn für die Integration von Zuwanderern aus der ganzen Welt. Viele kommen zu uns, weil Krieg herrscht in ihrer Heimat. Wir leben heute seit 80 Jahren in Frieden. Und den verdanken wir anderen Nationen – im großen Ganzen und meine Familie und unser Hof eben auch. 80 Jahre nach Kriegsende ist die Mahnung zum Frieden zwischen den Völkern so wichtig wie schon lange nicht mehr.