Beiträge auf: wdr2
Kirche in WDR 2 | 21.05.2025 | 05:55 Uhr
Würdevoll altern
Reden wir doch mal über Winkearme und übers Altern in Würde. Da sitze ich mit Frauen zusammen, die ich schon seit Jahren kenne und voll schätze, weil sie sich zum Teil sehr tough einsetzen für Gerechtigkeit und Gleichberechtigung. Selbstbewusste Frauen, die nicht auf den Mund gefallen sind. Und vielleicht stehe ich auch deshalb etwas auf dem Schlauch, als es plötzlich um Klamottenfragen geht und eine klagt: „Meine ganzen Sommerkleider ohne Ärmel, die kann ich ja leider nicht mehr tragen. Ist echt schade drum.“ Und während die anderen Frauen wissend nicken, alle gut 15 bis 20 Jahre älter als ich, komm ich irgendwie nicht drauf, wo das Problem liegt. „Und warum kannst du die Kleider nicht mehr tragen?“ frage ich. „Das geht doch nicht, mit diesen Winkearmen“ lautet ihre Antwort. Wieder nicken alle. Als gibt es eine Art Gesetz, das eigentlich jeder kennt.
Und natürlich habe ich von diesem Schönheitsgebot schon gehört – aber irgendwie hatte ich gehofft, dass diese Frauen mir auch in Sachen „selbstbewusst Altern“ ein Vorbild sein könnten.
Aber auch bei denen scheint der Glaubenssatz zu gelten, dass „in Würde altern“ unter anderem heißt: Haut verdecken, die Falten wirft. Und das ist nur ein Glaubenssatz, der ins große Credo mündet: Bloß nicht „auf jung“ machen aber unbedingt „jung geblieben“ daherkommen. Anders gesagt: Bloß keine „Winkearme“ zeigen aber das Gesicht ja auch nicht straffen lassen. Wäre das tatsächlich ein Gesetz, würde ich gerne eine Petition dagegen starten.
Ich finde, dieses „in Würde altern“ muss man sich mal genau vorknöpfen. Würde bedeutet, dass ein Mensch einen Wert hat. Unabhängig von Herkunft, Geschlecht, Religion, Ansichten – und natürlich auch: unabhängig von Aussehen oder Alter. Kurzum: Würde ist bedingungslos. Und im Grundgesetz steht ja tatsächlich sogar: Die Würde des Menschen ist unantastbar!
Angesichts dieser Grundsätzlichkeit: Wie kommen wir Menschen auf das schmale Brett, Würde im Alter an solche lächerlichen Bedingungen zu knüpfen? Abschätzig auf sich selbst oder andere herabzublicken, weil da Falten zu sehen sind, Altersflecken, Glatzen, graue Haare und schlaffe oder gestraffte Haut? Als wären „Winkearme“ wirklich würdelos.
Jede Falte, jede Delle zeigt, dass da ein Mensch schon einige Jahre gelebt hat. Dass da jemand was zu erzählen hat. Vom Versuchen und Scheitern und Weitermachen zum Beispiel. Und vom Lieben und Loslassen müssen und Weiterlieben. Und so viele mehr! Geschichten, die mehr Kapitel haben, als das in jungen Jahren möglich ist. Mehr Zeit auf dieser Erde verbracht zu haben, mehr sichtbare Zeichen von gelebter Wegstrecke verschaffen keinem Menschen mehr Würde, aber es schmälert sie auch nicht. Würde bleibt unverhandelbar.
Freiheit für alles, was anderen keinen Schaden zufügt, das wäre mein Wunsch. Und der Anblick von winkenden Oberarmen schadet nicht. Sie erzählen von dem, was schon war und erinnern an das, was für alle Jüngeren noch kommt.
