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Kirche in WDR 2 | 20.06.2025 | 05:55 Uhr
Recht oder Beziehung
"Man muss sich im Leben entscheiden, ob man Recht haben oder in Beziehung leben will". Diesen wunderbaren Satz hat Wolfgang Schmidbauer gesagt. Der Vierundachtzigjährige hat neben anderen das Buch "Die hilflosen Helfer" geschrieben. Und damit hatte der Psychoanalytiker sozusagen das Helfersyndrom entdeckt. Hier geht es um Menschen, die sich nur wohlfühlen, wenn sie anderen helfen können. Ihr Selbstwertgefühl lebt davon, gebraucht zu werden. Das kann sogar zur Sucht werden. Natürlich ist es wunderbar, wenn Menschen die Probleme und die Not anderer Menschen sehen und helfen möchten. Aber auch hier gilt wie so oft: Dosis facit venenum: die Menge macht das Gift! Ein guter Test ist dann die Frage: Wie verhalte ich mich, wenn die andere oder der andere meine Hilfe ablehnt? Bin ich dann froh, dass ich nichts machen muss, oder enttäuscht, dass es wohl ohne mich klappt?! Man muss sich im Leben entscheiden, ob man Recht haben oder in Beziehung leben will. Das gilt nicht nur für Helferinnen und Hilfeempfänger, sondern für jedes Miteinander. Für Freundschaften oder Partnerschaften ist es ganz klar: Rechthaberei führt auf Dauer zur Trennung.
Ich selber bin ja als Pfarrer nicht verheiratet, aber nicht selten im Gespräch, wenn eine Ehe auseinanderbricht. Oft sind es die scheinbar kleinen Dinge, mit denen ein Riss beginnt. Dass man also die Eigenarten oder auch die Marotten der Partnerin oder des Partners nicht akzeptieren kann. So gehen die Meinungen zu Aufräumen oder Putzen oft auseinander. Hilft da ein Kompromiss wie oft in der Politik?! Eine gute Idee bringt der Kolumnist Till Raether in der Zeitschrift Brigitte Woman, die ich beim Zahnarzt im Wartezimmer lese. Beispiel Ehering. Der Mann will dick und Gold, die Frau dünn und silbern. Der Kompromiss: Dick und Silber, oder dünn und Gold. So verlieren beide. Also schlägt Till Rather vor: entscheidet doch abwechselnd, wenn ihr nicht einer Meinung seid. Also: die Frau entscheidet den Ring, der Mann das Hochzeitsmenü. Oder: ein Jahr entscheidet die Frau, wohin der Urlaub geht, dann ans Meer. Das nächste Jahr der Mann, also in die Berge. Bei der abwechselnden Reinigung des Badezimmers entscheidet jede und jeder selbst, wann es sauber ist. Die Standards sind eben verschieden.
Einen guten Grundsatz formulierte der Psychologe Wolfgang Schmidbauer kürzlich in einem Interview: "Wie immer bei guten Beziehungen reicht es, wenn man das Negative unterlässt. Wenn man liebevoll und wertschätzend mit dem andern umgeht und ihn nicht kritisiert oder schlechtmacht." Fast hätte ich gesagt: AMEN.