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Kirche in WDR 2 | 14.05.2025 | 05:55 Uhr
Sei ein Mensch!
Autor: Am Mittwochvormittag vor genau einer Woche ist sie das letzte Mal öffentlich aufgetreten: im roten Rathaus von Berlin beim Gedenken an die Befreiung vom Nationalsozialismus vor 80 Jahren. Zwei Tage später, am Freitag, den 9. Mai, ist sie verstorben: Margot Friedländer.
O-Ton: Ich glaube an den Menschen. Ich denke immer, der Mensch – basicly – ist gut.
Autor: Sagt die Holocaustüberlebende. Wer ihre Geschichte hört, kann daran Zweifel haben. Es ist ein kalter Januartag 1943 in Berlin. Margot Bendheim, wie sie damals heißt, ist auf dem Heimweg in die Skalitzer Straße 32. Die jüdische Familie hat Vorbereitungen getroffen für ihre Flucht. Doch als Margot ankommt, sind ihr Bruder Ralph und ihre Mutter schon nicht mehr da.
O-Ton: „Versuche, dein Leben zu machen“ waren die Worte meiner Mutter, die sie mir hinterlassen hat.
Autor:
Nach dem Krieg emigriert Margot Friedländer in der USA – und nach über 60 Jahren kehrt sie nach Berlin zurück.
„Versuche, dein Leben zu machen“, diese Worte ihrer Mutter, werden zum Titel für ihr Buch. Darin erzählt sie ihre Geschichte. Das Fernsehen sendet einen Dokumentarfilm, Margot Friedländer wird eine gefragte Zeitzeugin. Unermüdlich mahnt sie, wohin Hass und Ausgrenzung auch heute führen. Immer wieder trägt sie ihre scheinbar einfache Botschaft vor: Sei ein Mensch!
O-Ton: Es gehört Kraft dazu, es gehört Mut dazu, um den Menschen zu sagen, was Menschen sein sollen. Das ist: Versuche, dein Leben zu machen. Versuche, es zu machen als guter Mensch.
Autor: Dieser Glaube an das Gute im Menschen beeindruckt mich. Kann man nach einer solchen Geschichte eigentlich noch an Gott glauben? Für Margot Friedländer ist die Antwort ganz einfach.
O-Ton: Ich bin unbedingt gläubige Jüdin, ich will auch nichts anderes sein. Trotzdem glaube ich, dass wir alle denselben Gott haben. Es ist ja ganz egal, solange wir gute Menschen sind.
Autor: 80 Jahre nach Kriegsende hat sich vieles verändert. Rechtspopulistische Parteien sind auf dem Vormarsch in ganz Europa. Menschen jüdischen Glaubens fühlen sich nicht mehr sicher. Mittendrin hat diese kleine, zierliche Frau, Margot Friedländer, Wärme ausgestrahlt – und eine klare Haltung. Nun ist sie gestorben, 103 Jahre alt. Ihre einfache Botschaft aber strahlt weiter: Sei ein Mensch!
Redaktion: Rundfunkpastorin Sabine Steinwender-Schnitzius