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Kirche in WDR 3 | 12.06.2025 | 07:50 Uhr
Geduld und Lang-Mut
Guten Morgen.
„Was würden Sie als Ihre Schwächen beschreiben?“
Eine der klassischen Fragen aus Bewerbungsgesprächen.
Die ebenso klassische Antwort: „Ach, wissen Sie, ich bin so ungeduldig.“
Damit macht man alles
richtig: Ungeduld ist super, gerade in schnelllebigen Zeiten.
Das spricht für Energie, Engagement, Willen zur Veränderung.
Wer mag das schon: Im Stau
stehen. Einem Update beim Hochladen zusehen.
Von Warteschleifen am Telefon ganz zu schweigen. „Sie haben den Job.“
Geduld war gestern. Das riecht nach Kamillen-Tee, Moral und Strickliesel.
Doch mich beschleicht immer mehr das Gefühl, dass uns hier etwas verlorengeht.
Die Kunst der vita passiva. Eines empfangenden, besinnlichen Lebens.
Die Einsicht, dass wir nicht alles machen können.
Gerade angesichts immer neuer Krisen. Und auch angesichts von Krankheit und Alter.
Martin Luther übersetzt im Neuen Testament zwei verschiedene Begriffe mit Geduld:
Der eine meint wörtlich ein körperliches „darunter bleiben“, also in belastenden Situationen nicht wegzulaufen, sondern standzuhalten. Nehmerqualität.
Das andere griechische Wort bedeutet eigentlich „Lang-Mut“, also so etwas wie Ausdauer, die Kompetenz zu warten.
Darunter-Bleiben, Nehmerqualität und Lang-Mut, Wartekompetenz –
beides tut gut in einer verrückten Welt. Und beides sind Gaben Gottes
So wie in dem vielfach variierten „Gelassenheitsgebet“, das der amerikanische Theologe Reinhold Niebuhr während des Zweiten Weltkrieges verfasste:
„Gott, gib uns den Mut, zu ändern, was geändert werden muss,
zu akzeptieren, was nicht geändert werden kann.
Und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“ (1)
Die Bibel ist voller Geduld-Geschichten. Die vielleicht schönste steht in dem kleinen Büchlein Ruth. Ruth, eine starke, junge Frau, eine Moabiterin, verliert während einer Seuche ihren Mann. Genau wie ihre Schwiegermutter Noomi und ihre Schwägerin. Mittellos steht sie da.
Doch anstatt wegzulaufen und sich nur um sich selbst zu sorgen, bleibt sie bei ihrer alten Schwiegermutter. Geht mit ihr nach Israel. Wird für sie zur Fremden. Zu einer Art Flaschensammlerin. Sie liest auf dem Feld auf, was andere bei der Ernte liegen lassen. Und diese Treue wird von Gott belohnt.
Sie heiratet wieder und aus ihren Nachkommen geht später König David hervor,
der wichtigste König Israels überhaupt, der Vorfahre Jesu Christi.
Heute steht Ruth im
Stammbaum Jesu. Eine Fremde.
Ohne ihr Drunter-Bleiben und ihren Lang-Mut wäre die biblische Geschichte des
Volkes Israels so nicht verlaufen.
Geduld: Ich habe sie nicht. Doch ich will sie üben.
Will streiten, warten, hoffen, lieben und kämpfen. Für andere, für uns, für mich.
In der Hoffnung, dass Gott etwas Gutes daraus machen wird.
Ich wünsche Ihnen Geduld – bei allem, was heute oder in der kommenden Zeit ansteht!
(Ende WDR 4, Verabschiedung für WDR 3 und 5:)
Ihr Thorsten Latzel, Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland aus Düsseldorf.
Quellen:
Zum englischen wie deutschen Text des Gelassenheitsgebets, zu seinen Quellen und zur Wirkungsgeschichte vgl. www.de.wikipedia. org/wiki/Gelassenheitsgebet (letzter Abruf 05.05.25)
Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze