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Kirche in WDR 3 | 20.06.2025 | 07:50 Uhr
Vertrauensvorschuss
Niemand wollte mir glauben: Ich war vielleicht elf oder zwölf. Onkel Kurt war zu Besuch. Der coole Onkel – mit Lederjacke, Bart und einer knatternden Harley Davidson. „Born to be wild“ – nur in echt.
Er und mein Bruder waren gerade von der Motorradwallfahrt in Kevelaer zurück. Jetzt gab‘s Kuchen bei uns im Garten. Und plötzlich sehe ich aus dem Fenster: Drei Männer machen sich an Onkel Kurts Harley zu schaffen. Ich renne in den Garten: „Onkel Kurt! Dein Motorrad wird geklaut!“ Und was kommt zurück? Ein müdes Lächeln. „Ja, ja … schon gut.“ Ich versuche es nochmal – und nochmal. Aber niemand glaubt mir. Erst als man mir androht, ich müsse ins Bett, wenn das nicht stimmt – kommt einer mit nach vorne. Da ist die Harley schon weg. Für alle ein Schock. Für mich: eine Lektion. Bis heute denke ich: Braucht es wirklich immer erst den Beweis? Oder wäre ein bisschen Vertrauen nicht manchmal besser?
Ein Vertrauensvorschuss. Aber wie vielen wird nicht vertraut: Kindern, z.B., wie ich es damals war. Oder Menschen, die irgendwie nicht ins Bild passen. Weil jemand denkt: „Wie sieht der denn aus?“ Oder: „Mit dem – da stimmt doch was nicht.“ Egal ob Hautfarbe, Kleidung, Sexualität, Alter: Oberflächlichkeit und Vorurteile ziehen sich durch unsere ganze Gesellschaft.
Vertrauen wächst aber nur ohne Ansehen der Person. Glaube ist für mich genau das. Ich habe Gott nie gesehen. Ich kann nicht beweisen, dass Gott existiert. Aber ich entscheide mich, zu vertrauen. Und das heißt eben nicht, alles bis ins Letzte zu wissen. Der Zweifel, auch die Suche: die bleiben ja. Selbst bei Gläubigen. Und ganz ehrlich: Selbst wenn sich irgendwann herausstellen sollte, dass das alles Unsinn war – dann hab‘ ich trotzdem nichts verloren. Weil Vertrauen etwas verändert. Vertrauen in Menschen, ins Leben, in Gott macht das Leben heller. Mutiger. Menschlicher.
Ich grüße Sie aus Münster.
Ihr Stephan Orth.
