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Kirche in WDR 3 | 01.07.2025 | 07:50 Uhr
Zu Christus kommen
Guten Morgen!
Heute übernimmt Dänemark die Ratspräsidentschaft in der Europäischen Union. So ein Wechsel passiert ja alle sechs Monate. Und doch gibt es etwas sehr stabiles über jeden Wechsel hinaus: das Ziel der Präsidentschaft. Sie muss „als ‚ehrlicher Makler‘ auf Kompromisse und Lösungen unter den Mitgliedstaaten im Rat hinarbeiten. … Höchstes Ziel der Ratspräsidentschaft ist …, dass die 27 Mitgliedstaaten gemeinsam zu Ergebnissen kommen“ – so jedenfalls heißt es auf der Internetseite der Bundesregierung. Es geht also um nichts Geringeres als die Einheit der EU, um gemeinsame Ziele, um ein geschlossenes Auftreten bei aller Unterschiedlichkeit der einzelnen Mitgliedsstaaten.
Diese „Einheit in Vielfalt“ zu erreichen, ist ein hehres Ziel und oft genug gelingt sie nicht oder nur unter Schwierigkeiten. Dafür ist die Europäische Union zu komplex und kompliziert mit ihren zahlreichen Institutionen, Entscheidungsträgern, Interessenvertretern, Sprachgruppen und Kulturen. Und mein Eindruck: Darin ähnelt sie der katholischen Kirche.
Zwar ist die Kirche keine Demokratie, doch mit rund 1,4 Milliarden Mitgliedern weltweit aus unterschiedlichen Kulturen und Traditionen ist sie ebenfalls eine sehr komplexe Institution, geleitet vom Papst und den Bischöfen. Und auch in ihr gilt es, die Vielfalt zu bejahen und zugleich die Einheit zu bewahren. Papst Leo XIV. hat sich dieses Anliegen offenbar zum Ziel gesetzt, denn er hat schon als Bischof folgenden Wahlspruch ausgesucht: „In jenem Einen eins“. Mit „jenem Einen“ ist Jesus Christus gemeint. In ihm sollen die Katholiken, ja alle Christen eins sein. Bei so vielen Menschen keine einfache Aufgabe! Denn es gibt so viele Meinungen zu unterschiedlichsten Themen in der Kirche: zur Stellung der Frau, zum Umgang mit queeren Menschen, zum Missbrauch von Kindern, zum Verhältnis von Klerikern und Laien, zum Verständnis der Synodalität, zur Frage der Weitergabe des Glaubens in unserer Zeit und, und, und. Bei so vielen unterschiedlichen Herausforderungen kann die angestrebte Einheit nicht einfach Uniformität bedeuten, genauso wenig wie Vielfalt mit Beliebigkeit zu verwechseln ist. Aber wie kann Einheit in Vielfalt gelingen?
Bei der Antwort auf die Frage hilft mir die Vorstellung von der Kirche als einer Straße mit mehreren Fahrbahnen. Und zwar so: Die Kirche hat ein klares Ziel: nämlich Jesus Christus. Auf ihn läuft sie zu. Manche Menschen gelangen zu ihm in der Mitte der Fahrbahn, manche eher auf der rechten andere auf der linken Bahn. Manch einer ist dem anderen mit seinen Ideen und Vorstellungen voraus und überholt ihn – was nicht zwangsläufig schneller zum Ziel führt. Andere dagegen sind bedächtiger und langsamer unterwegs – sie müssen allerdings aufpassen, dass sie nicht stehenbleiben. Ungemütlich, ja gefährlich wird es dann, wenn jemand zu sehr nach rechts oder links ausschert und – bildlich gesprochen – die Leitplanke durchbricht und im Straßengraben landet. Dann kann er seinen Weg auf Christus zu nicht fortsetzen, bleibt so lange liegen, bis ihn andere wieder da herausholen und auf die Fahrbahn setzen, nicht ohne zuvor manche ideologischen Wunden versorgt zu haben.
Papst Leo wäre in diesem Bild zum einen ein Straßenbauer, der darauf achtet, dass die Straße breit genug ist und es genügend Fahrbahnen gibt. Zum anderen aber regelt er auch das Tempo, setzt Geschwindigkeitsgrenzen nach oben und nach unten. Denn die Fahrt auf der Straße soll weder zum Stillstand kommen noch sollen einzelne davonrasen. Und schließlich sorgt er sich – wie ein Rettungssanitäter – um diejenigen, die rechts und links im Straßengraben gelandet sind. Hier muss er geistlich-seelische Verwundungen heilen oder falsche Vorstellungen vom richtigen Weg korrigieren.
Das ist eine Mammutaufgabe; für einen einzelnen Menschen kaum zu schaffen. Daher bedarf es vieler, die mithelfen, überlegen, beraten und schließlich mitentscheiden, wie viele Fahrbahnen es geben muss, wie breit die Straße sein soll und muss, damit die Menschen zu Jesus Christus kommen können, welches Tempo am besten für alle zum Ziel führt, und wie Menschen, die sich – warum auch immer – von der Kirche entfernt haben, wieder in ihre Gemeinschaft zurückgeholt werden können. Ich bin überzeugt: Es lohnt sich, dabei mitzuhelfen.
Aus Paderborn grüßt Sie Monsignore Gregor Tuszynski