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Kirche in WDR 3 | 22.08.2014 | 07:50 Uhr
Stilles Leben
Die Frau schmiegt sich eng an den Mann neben sich. Tränen laufen über ihr Gesicht und vermischen sich mit Schminke. Der Mann legt vorsichtig seinen Arm um sie, drückt sie an sich. Im Halbkreis stehen die beiden zusammen. In einer Reihe von Paaren um das kleine Grab versammelt. Die Sonne scheint, der Wind weht leicht, als ob er die Trauernden streicheln wollte.
Mein Blick fällt auf die Holzkästchen, die in einem Korb Platz gefunden haben. Es gibt große und kleinere, bunte und naturfarbene. Gleich nach dem Abschiedsritual werden wir sie, gehalten von einem Leinentuch, in das Grab hinunter lassen. Die Eltern verweilen dann noch einen Moment still, werfen eine Blume oder eine Schaufel Erde ins Grab.
Einmal im Monat kommen wir zusammen, liebe Hörerin, lieber Hörer. Die trauenden Eltern, eine Krankenschwester, die zugleich Trauerbegleiterin ist, eine Hebamme, ein Bestatter, einer von uns Pfarrern aus der Kirchengemeinde. Auf dem so genannten Sonnenhügel auf unserem Friedhof. Dort gedenken wir der Kinder, die schon vor ihrer Geburt gestorben sind.
Einige ganz früh. Sie waren für ihre Eltern vielleicht noch gar nicht wirklich. Andere waren schon eine richtige Hoffnung. Sie hatten einen Platz in den Gedanken und Gefühlen ihrer Eltern. Vielleicht hatten sie auch schon einen Namen.
Mit diesen Kindern wird etwas von dem zu Grabe getragen, was in ihren Eltern lebendig war: Hoffnungen und Wünsche, Gefühle des Glücks und der Liebe, Zukunft. Gleichzeitig können die Eltern aber auch loslassen. Nämlich: banges Sorgen, quälendes Warten. Angst und Enttäuschung. Am Grab dieser ungeborenen Kinder ist Raum, all das wahrzunehmen und es vor Gott zu bringen. Hier ist auch Raum zur Klage.
Manchmal bestatten wir die Kinder auch ohne ihre Eltern. Zu groß ist für manche der Schmerz, und manchmal auch die Scham, um einen solchen öffentlichen Abschied verkraften zu können. Dann vertreten wir die Eltern und sorgen dafür, dass diese früh verstorbenen Kinder ein Begräbnis in Würde bekommen. Wir beten für sie, wünschen ihnen Gutes in Gottes Namen und befehlen Sie der Fürsorge Gottes an. Diese Trauerfeiern sind für mich immer sehr bewegend.
Früher, vor vielen Jahrzehnten, sagte eine Frau, die schwanger war: Ich bin guter Hoffnung. Sie wusste: Neun Monate sind eine lange Zeit. Da kann viel passieren. Es war klar: Das Leben – ist von Anfang an gefährdet. Man wusste: Die Gefährlichkeit des Lebens beginnt schon im Mutterleib. Die Gebärmutter ist nicht nur ein Ort der Geborgenheit und des Schutzes. Mir scheint, dieses Bewusstsein ist heute verloren gegangen.
Ich bin jedenfalls sehr froh dass es diesen Arbeitskreis nun schon seit mehr als zehn Jahren gibt. „Stilles Leben“ heißt er und hat dafür gesorgt, dass ungeborene Kinder überhaupt eine würdige Bestattung bekommen.
Und: Ich bin gerne dabei. Mir ist wichtig, dass die Eltern in ihrer Trauer und mit ihrem Schmerz nicht allein gelassen werden. Sie sollen merken: Wir nehmen euren Verlust ernst und sehen eure Trauer. Und ich möchte auch etwas von meinem Glauben weitergeben.
Ich glaube: Bei Gott geht kein Mensch, und sei er noch so klein, verloren. Deshalb heißt es in der Trauerliturgie: „Der deiner gedacht hat, bevor du gezeugt wurdest, der dich geliebt hat, bevor du ihn kennenlerntest, der nehme dich auf mit weiten Armen. Er lege dich an sein Herz auf ewig.“
Gott mit Ihnen an diesem Tag – das wünscht Ihnen Pfarrer Frank Küchler aus Marialinden.