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Kirche in WDR 3 | 29.08.2016 | 07:50 Uhr
Über den Tellerrand?
Guten Morgen.
Neulich bei einer Konferenz: Es geht mal wieder um die Frage: Was kann die Kirche tun, um mehr Menschen zu erreichen. Schließlich geht es um Strategien. Ich frag mich: Sind wir Manager eines Großkonzerns, die ihr Produkt nur noch mit der passenden Marketingstrategie auf den Markt bringen müssen?
Mich ärgert diese Haltung: Als ob wir in der Kirche ein Produkt hätten, das wir herstellen und vertreiben könnten. Das Produkt sollte dann wohl der Glaube sein? Oder vielleicht sogar die Gegenwart Gottes…?! Das geht nicht. Der Glaube, die Gegenwart Gottes – sie lassen sich nicht herstellen. Auch keine noch so ausgetüftelte Gottesdienstregie oder Predigt kann Glauben automatisch hervorbringen. Der lebendige Gott kommt und geht, wann er will. In Jesus hat er wohl versprochen bei uns zu sein, immer - bis ans Ende der Welt. Aber das gibt ihn nicht in unsere Hand – wir sind in seiner Hand!
Als die Diskussion bei dieser Konferenz von Pfarrerinnen und Pfarrern so richtig schön auf dem Höhepunkt ist, da wird von ein paar ganz mutigen Kollegen folgende Diagnose vorgelegt: „Dieses ewige Kreisen um den eigenen Kirchturm macht die Kirche so langweilig“, sagen sie. “Wir müssen endlich mal über den Tellerrand schauen. Da wo es richtig rund geht, bei den großen Events, bei der Wirtschaft – da brummt es doch. Davon müssen wir in der Kirche lernen!“
Ich merke, wie mir gleich der Kragen platzt – ich weiß aber auch nicht was ich sagen soll. Meinem Kollegen neben mir geht es genauso – nur findet er die richtigen Worte; er meldet sich, steht auf und sagt ganz ungerührt: „Liebe Schwestern und Brüder! Wer über den Tellerrand schauen soll, der muss einen Teller vor sich haben. Es ist ja völlig in Ordnung von anderen Leuten zu lernen, von den Erfolgen bei anderen sich etwas abzuschauen – aber habt ihr schon richtig wahrgenommen, was schon längst da ist? Könnt ihr eigentlich das wertschätzen, was in der Kirche, in so vielen Gemeinden lebendig ist. Dass da Frauen und Männer jahrzehntelang sonntags in den Gottesdienst kommen und ihn mitgestalten und bei jedem Gemeindefest mithelfen? Dass wir mit unseren Kirchenmusikern jede Woche viele Leute ansprechen, aus allen Generationen und allen sozialen Schichten, die sich für die Musik in unserer Kirche begeistern lassen?
Und im letzten Herbst, als es in vielen Kommunen unübersichtlich wurde wegen der Flüchtlinge, die gekommen sind – da waren es Menschen aus unseren Gemeinde, die mit angepackt und organisiert haben – und bis heute kümmern sie sich um die, nach denen sonst niemand schaut. Es geht nicht darum, die Augen zu verschließen vor den großen Problemen, die auf die Kirchen wie auf die ganze Gesellschaft zukommen: dass wir in einer immer älter werdenden Gesellschaft leben, dass wir auch nicht wissen, woher der Nachwuchs für unsere kirchliche Arbeit kommen soll. Aber wir können diese Probleme nur bestehen, wenn wir an dem weiterbauen, was Generationen vor uns uns hinterlassen haben. Kirche können wir nur sein, wenn wir uns immer wieder auf unsere Grundlagen besinnen. Mit diesem Teller voller guter Nahrung haben wir die geistige Kraft zu unterscheiden, was zu uns passt und was nicht. Es passt nämlich wirklich nicht alles zur Kirche. Denn wie gesagt: Wer über den Tellerrand schauen soll, der muss einen Teller vor sich haben.“
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen für heute und die kommende Woche: Guten Appetit.
Ihr Eberhard Helling, Pfarrer aus Lübbecke.