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Kirche in WDR 3 | 18.01.2017 | 07:50 Uhr
Untadelig und treu?
Guten Morgen!
Edward Feathers hat es zu Ruhm und Ehre gebracht in der Kronkolonie Hongkong im British Empire. Ein glänzender Anwalt, ein Gentleman mit exzellenten Umgangsformen. Noch mit 80 Jahren gut aussehend. Ihm scheint im Leben alles zugeflogen zu sein. Doch das stimmt nicht ganz: Nicht einmal seiner Frau Betty hat er erzählt woher zum Beispiel sein Stottern kam, wenn er aufgeregt war. Dass seine Mutter gestorben war, als er vier Jahre alt war. Und wie er dann von seinem geliebten Malaysia nach Wales gebracht wurde zu einer lieblosen Pflegefamilie.
Und so erfuhr später auch keiner von seiner Affäre während seiner Ehe. Oder dass seine Frau schwanger geworden war und das Kind nicht von ihm sein konnte. Keiner wusste von seiner Ahnung, dass Betty ein Verhältnis mit seinem größten Anwaltskonkurrenten gehabt haben musste. Eine Zeitlang hatte er gedacht, sie würde ihn verlassen. Nie hat er darüber gesprochen, er hat alles in seinem Inneren mit sich selbst ausgemacht. Im Grunde hat er durch sein perfektes Auftreten auch seine Frau und manchmal sich selbst getäuscht. Jetzt ist er alt, längst im Ruhestand und Betty ganz plötzlich gestorben. Da macht er sich auf und erkundet im Rückblick sein Leben.
Und Bettys Leben? Sie reist als junge Frau nach Hongkong. Zum ersten Mal nach dem Krieg in die laute, schmutzige und zugleich glanzvolle Stadt, in der sie aufgewachsen war. Sie trifft hier alte Freunde und Edward. Von ihm bekommt sie „einen fürchterlich korrekten Heiratsantrag, schriftlich und auf Kanzleipapier.“ Das würde ihre Zukunft sein. Endlich würde sie wissen, wo sie hingehört. Sie sagt ja – und lernt wenige Stunden später den attraktiven und lebensfrohen Anwalt, Erzfeind ihres zukünftigen Mannes, kennen und leidenschaftlich lieben. Dennoch beschließt sie, ihrem Mann Edward ein Leben lang treu zu sein. So leben beide ihr gemeinsames und jeder für sich auch sein eigenes meist nur innerlich stattfindendes Leben, von dem der andere nichts weiß. Oder doch? Jedenfalls reden sie nicht darüber.
„Ein untadeliger Mann“ und „Eine treue Frau“ - mit ironischem Unterton charakterisiert die englische Schriftstellerin Jane Gardam das Paar in zwei Romanen. Ein Roman beschreibt das Leben der beiden aus Edwards Perspektive, der andere aus Bettys Sicht. Es geht um die unterschiedlichen Spielarten der Liebe und um Lebensläufe, die oft so viel bunter und aufregender sind, als sie scheinen.
Meist erlebt man einen Menschen nur in einer bestimmten Lebensphase. Paare teilen ihr Leben ab einem bestimmten Punkt. Von dem, was davor war, bleibt vieles im Dunkeln. Kollegen kennt man meist nur vom Arbeitsplatz, mit anderen verbindet einen nur das Hobby, das man gemeinsam ausübt, mit dem Nachbarn spricht man draußen über den Zaun. Man meint seine Mitmenschen zu kennen, mit denen man zu tun hat, kennt aber oft nur einen Ausschnitt ihres Lebens. Wer weiß, was einen Menschen zu dem gemacht hat, der er ist. Wer weiß, warum ein Paar so miteinander lebt, wie es das tut. Wer weiß, was für Träume und Sehnsüchte sie mal hatten oder noch haben. Was sie schon alles erlebt haben und was die Gründe dafür sind, dass sie ihr Leben jetzt so führen. Und was sie sonst noch beschäftigt, wenn wir nicht dabei sind. Jedes Leben hat das, was vor Augen ist und das Verborgene, was vielleicht niemand kennt außer Gott. „Der Mensch sieht, was vor Augen ist, Gott aber sieht das Herz an“. (1. Samuel 16,7)
Ihre Barbara Schwahn, Pfarrerin in Düsseldorf.
Jane Gardam, Eine treue Frau, München 2016, Zitat aus Klappentext Rückseite.
Jane Gardam, Ein untadeliger Mann, München 2015.