Beiträge auf: wdr3
Kirche in WDR 3 | 28.01.2014 | 07:50 Uhr
Seine Schuhe ausziehen wie Mose
Liebe Hörerinnen und Hörer!
Eine Reise in die Türkei. Das Ziel: Istanbul ehemals Konstantinopel mit seiner unglaublich reichen Geschichte. Zu den bedeutendsten Bauwerken zählt neben der Hagia Sophia die Blaue Moschee, die heutige Hauptmoschee der Stadt, ein Meisterwerk osmanischer Architektur. Der Name leitet sich ab von den blau-weißen Fliesen, die vor allem die Kuppel zieren. Ich war mit einer Gruppe dort und wir durften die Moschee sogar betreten. Dazu war allerdings etwas unbedingt nötig, was mich nachdenklich gestimmt hat:
Am Eingang werden wir nämlich aufgefordert, unsere Schuhe auszuziehen. Keiner sperrt sich. Jeder folgt selbstverständlich dieser Auflage. Das Ausziehen der Schuhe ist für Muslime ein Zeichen der Ehrfurcht vor Allah, dem großen, einen Gott.
Dieses Zeichen ist eigentlich viel älter als die Blaue Moschee und der Islam. Es begegnet schon in der Heiligen Schrift der Juden. Als nämlich Mose in der Wüste die Schafe seines Schwiegervaters Jitro weidet, wird er auf ein merkwürdiges Phänomen aufmerksam. Er sieht einen Dornbusch, der brennt und doch nicht verbrennt.
Neugierig geworden, kommt er näher, um sich dieses merkwürdige Phänomen anzusehen. Da hört er eine Stimme aus dem Dornbusch: „Tritt nicht näher heran! Ziehe deine Schuhe von deinen Füßen; denn der Ort, auf dem du stehst, ist heiliger Boden!“ Mose gehorcht der Stimme. Gott offenbart sich ihm und Mose erhält den Auftrag, sein Volk aus der ägyptischen Gefangenschaft in die Freiheit zu führen.
Mose darf sich nicht einfach dem Dornbusch nähern. Um das Außergewöhnliche der Gottesbegegnung wahrzunehmen, muss er auch etwas Außergewöhnliches tun: nämlich seine Schuhe ausziehen. Es ist ebenfalls ein Zeichen der Ehrfurcht.
Eigentlich ein einfacher Ritus, aber dies oder Ähnliches, wird bis heute in den Religionen als Erweis der Ehrfurcht praktiziert. Die Muslime machen es in ihren Moscheen wie Mose am brennenden Dornbusch. Jüdische Männer hingegen bedecken ihren Kopf etwa beim Besuch einer Synagoge. Und in den christlichen Kirchen machen die Männer genau das Gegenteil: sie nehmen ihre Kopfbedeckung ab.
Man mag das als nebensächlich ansehen, denn Gott hat solche Zeichen der Ehrfurcht nicht nötig. Aber für uns Menschen sind sie wichtig, damit wir das Besondere eines Heiligen Ortes wahrnehmen und bewusst machen. Sonst sind sie für uns so gewöhnlich wie alle anderen Räume, in denen wir uns bewegen. Wichtiger als das äußere Tun ist schließlich die innere Einstellung: die heilige Atmosphäre eines Gotteshauses zu achten, das Besondere eines solchen Raumes nicht zu zerstören und seine Stille zu wahren.
Der Theologe Jörg Zink beschreibt eine Erfahrung mit einem Raum: „Wir standen in einer alten Kirche und suchten den Abstieg in die Krypta. Gebückt stiegen wir die lange, verwinkelte Treppe hinab, wie in einen Schacht. Kühle Luft drang aus der immer tieferen Dunkelheit entgegen. Und dann offenbarte sich uns ein zauberhafter, kreisrunder Raum. Ein doppelter Kranz mannshoher Säulen unter einem rohen Gewölbe stand wie ein Kreis schweigender Menschen um eine fast dunkle Mitte. Wir traten unwillkürlich neben sie und waren, ehe wir darüber nachdachten, ein Teil dieses Raums, der so unerhört schweigt und horcht und wartet. Denn Warten heißt nicht, etwas tun oder sagen. Es heißt sein.“
An solchen Orten, in einer solchen Atmosphäre, die nicht durch Geschwätz und lautes Lärmen zerstört wird, lassen sich wichtige Erfahrungen machen: die Erfahrung des eigenen Seins und auch die Erfahrung Gottes. Die Erzählung vom brennenden Dornbusch erzählt davon, dass es heilige Orte gibt, die der menschlichen Verfügung entzogen sind. Die Erfahrung durfte ich in der Blauen Moschee in Istanbul machen. Und auch Jörg Zink beschreibt es: Es gibt auch heute solche Orte, unsere Kirchen etwa. Und es ist gut, ihre Würde zu wahren – um Gottes und der Menschen willen!
Ich bin Pfarrer Heinz-Josef Löckmann aus Paderborn und wünsche Ihnen heute im Lärm unserer Tage einige Minuten der Stille.
1. Jörg Zink: Wie wir beten können, Kreuz-Verlag Stuttgart, 1970, S. 20, Zeile 9-20.