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Kirche in WDR 3 | 23.09.2017 | 07:50 Uhr
Der Wahl-O-Mat
Morgen ist es soweit. Wenn Sie Ihre Briefwahl noch nicht gemacht haben, geht’s ins Wahllokal zum Kreuzchen-Machen. Wissen Sie schon, wo? – Wenn nicht – keine Angst, das haben Sie mit vielen Menschen hierzulande gemein. Fast die Hälfte der Wahlberechtigten wissen kurz vor der Wahl nicht, wen sie denn wählen werden. Dass die Entscheidung zwischen den demokratischen Parteien schwerfällt, verwundert nicht. Nur Nuancen trennen die Parteien in ihren Programm-Aussagen voneinander. Damit die Entscheidung dann doch etwas leichter fällt, gibt es seit Anfang September wieder den „Wahl-O-Mat“ der Zentralen für politische Bildung im Internet. Eine Reihe von Fragen beantwortet, spuckt das Programm am Ende die Parteien aus, denen man in seinen Ansichten und Einschätzungen am nächsten steht. Schon ausprobiert?
Manchmal denke ich mir: Ach wenn das im Leben doch öfter so einfach wäre, wenn wir öfter einen „Wahl-O-Maten“ hätten. Wenn es da ein kleines Programm gäbe, in das ich meine Befindlichkeiten eingeben könnte – und am Ende gäbe es eine Lösung, fertig.
Doch leider ist das nicht so. Und auch dem „Wahl-O-Maten“ sollte man keine magischen Fähigkeiten zuschreiben. Er ist Entscheidungshilfe oder Bestätigung der eigenen, wohl durchdachten Entscheidung . Das Leben, jedes einzelne Leben ist bisweilen kompliziert, manchmal so kompliziert, dass es von keinem Algorhythmus eines noch so raffiniert auf-gestellten Programms berechnet und gelenkt werden könnte. Es kommt nun darauf an, die unendlich vielen Möglichkeiten des Lebens immer wieder neu zu entdecken und mitzumachen. Etwa dadurch, dass ich mich an einer Wahl wie morgen beteilige.
In den katholischen Gottesdiensten wird heute die Geschichte vom Sämann vorgelesen, der seinen Samen aussät. Während ein Teil verdorrt, vom Unkraut erstickt oder von Vö-geln gefressen wird, keimt ein anderer, der wesentlich kleinere Teil, und wächst schließlich erfolgreich und bringt gute Frucht. Vielleicht ist das ja im Leben mit Wahlen wie morgen genauso: Nur ein kleiner Teil der Saat des Wahlkampfes geht wirklich auf – weil es die Umgebungsbedingungen eben so und nicht anders hergeben. Natürlich sollte man seine Stimme nicht einfach so umherwerfen. Man sollte schon darüber nachdenken, wen man denn da wählt und wen man auf keinen Fall wählen möchte. Allerdings weiß jeder, der schon einmal gewählt hat: Das Ganze ist kein Wünsch-Dir-Was-Automat. Auch wenn meine Wahlentscheidung ganz genau anhand der vorliegenden Informationen und Wahlprogramme gefallen ist – ein Teil meiner Wünsche und Vorstellungen wird sicher nicht so verwirklicht werden können, wie ich mir das vorstelle. Doch das darf nicht in Wahl-Frust, und am Ende gar in Nicht-Wahl enden. Da gilt es dann, den Teil meines ausgesäten Samens in den Blick zu nehmen, der gute Frucht gebracht hat. Auch, wenn er ganz klein und verschwindend ist. Aber es gibt ihn – und darauf gilt es, weiter aufzubauen. Mit meiner nächsten Stimme – von mir aus auch gut gecheckt durch den „Wahl-O-Maten“. Ich sehe das für mich positiv: Ich darf sozusagen mit meiner Stimme „säen“ – eine durchaus wichtige Aufgabe – auch wenn das Wachstum meines Samens oft weit hinter meinen Erwartungen zurückbleibt.
Ich wünsche Ihnen für diesen Samstag hier und da einen Moment der Ruhe, in dem Sie Ihre Wahlentscheidung treffen und dann morgen Ihre Kreuzchen machen. Ihr Ulrich Clancett aus Jüchen