Rücksicht nehmen

Der junge Mann hat es eilig, sehr eilig.

Die Rotphase an der Fußgängerampel kann er kaum ertragen

und bei der ersten Lücke im Verkehrsfluss läuft er einfach über die Straße.

Er kommt auch heil auf der andern Seite an, hört aber noch Bremsen quietschen und einen dumpfen Aufprall hinter sich. Für einen Blick zurück ist aber keine Zeit.

An der übernächsten Ecke kommt ihm dann sogar ein Rettungswagen entgegen und ihm wird klar, dass etwas passiert sein muss, doch was soll's – er hat es eilig.

Was er in seinem Zeitdruck nicht gesehen hatte, das war der blinde Mann neben ihm gewesen. Auch der hatte die Straße überqueren wollen und das Loslaufen des Jungen als Signal missverstanden, dass wohl grün geworden sei. Die Folgen kann man sich denken.

Weil der eine keine Seiten- und Nebensicht genommen hat, sondern rücksichtslos Losgelaufen war, ist ein anderer unter die Räder gekommen!

Wir sind eben nie nur für uns allein unterwegs, sondern immer gemeinsam mit anderen.

Sie orientieren sich vielleicht an uns: Kinder oder Behinderte, Alte oder Fremde, denen die Übersicht fehlt, ahmen uns nach und sind dabei nicht so schnell und wendig wie wir es vielleicht noch sind.

Heute ist in der katholischen Kirche der Tag von Joachim und Anna.

So heißen der Legende nach die Großeltern Jesu.

Auch der war nämlich mal ein Kind und hatte Eltern und Großeltern.

Das erinnert daran, dass jeder und jede eingebunden sind in ein Netz der Generationen, der Menschen, die vor uns gelebt haben oder heute und hier neben uns leben. Wir sind aufeinander verwiesen – und das bedeutet auch: wir tragen füreinander Verantwortung.

Niemand kommt aus dem Nichts, jeder hat sich irgendwem zu verdanken und auf jemanden Rücksicht zu nehmen und das dürfen wir nicht vergessen, auch wenn wir es manchmal ganz ganz eilig haben.

Einen gelassenen Tag mit viel Zeit für die Neben-, Seiten- und Rücksicht wünscht Ihnen aus Köln Pfarrer Jürgen Martin.