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Kirche in WDR 3 | 14.02.2019 | 07:50 Uhr
Lass dich mal in Ruhe!
Guten Morgen! Viele kennen das. Du kommst nach einem anstrengenden und langen Arbeitstag nach Hause und sagst zu Deinem Partner oder zu Deinen Kindern: „Du, ich brauche jetzt noch ein bisschen Zeit für mich. Lässt Du mich nochmal einen Moment in Ruhe?“
Verständlich. Kürzlich habe ich einen anderen Satz für mich entdeckt: „Lass DICH in Ruhe!“ Das klingt ungewohnt. Und dieser Satz enthält eine tiefe Weisheit: Die unerbittlichsten Antreiber im Alltag sind wir selbst. Nicht unser Terminkalender.
Sicher mag es Menschen geben, die „die Ruhe weg“ haben, die „nichts aus der Ruhe bringt“. Aber diese Gattung Mensch treffe ich zumindest selten. Und die meine ich auch nicht, wenn ich sage: Jeder ist selbst sein strengster Antreiber: „Dies muss noch sein“, „daran muss ich noch denken“, „darauf muss ich mich noch vorbereiten“, „da muss ich noch hin“… Oder auch: „Sei stark!“, „Sei perfekt!“, „Mach es allen recht!“, „Beeil Dich!“
Wenn ich so unter Stress stehe, komme ich da kaum noch raus. Da brauche ich schon einen kräftigen Anstoß, um zur Besinnung zu kommen. Ich denke an eine Situation, in der es wieder einmal so war. Die Ereignisse überschlugen sich. Und gerade in diesem Moment habe ich meine Tasche mit Schlüsseln, Personalpapieren und – meinen Terminkalender verloren. Ich war dienstlich unterwegs und geriet in Panik: So ohne Ausweis und Führerschein sein, ohne Schlüssel, ohne Terminkalender – das ist schwer auszuhalten! Nachdem ich den Verlust bei der Polizei gemeldet und neue Dokumente bei der Stadt beantragt hatte, blieb mir nichts anderes übrig, als abzuwarten. Und: Mich selbst in Ruhe zu lassen. Panik hilft da ja nicht weiter. Die Termine für die nächsten beiden Tage hatte ich noch im Kopf, aber in den weiteren Tagen fühlte ich mich wie ein Pilot im Blindflug und ohne Instrumente. Wenn das Telefon klingelte, zuckte ich zusammen und rechnete damit, dass ich eine Verabredung versäumt, eine Sitzung oder ein Dienstgespräch vergessen haben könnte. Und einige Male war es auch so. Dann blieb mir nichts anderes übrig, als mein Versäumnis einzugestehen und um Entschuldigung zu bitten. Dass Menschen vergeblich auf mich gewartet hatten, das war mir unangenehm und peinlich.
Aber je länger es dauerte, desto deutlicher wurde mir: Vieles ist ja gar nicht so schrecklich wichtig. Vieles geht auch ohne mich. „Mach dich nicht so wichtig“, sagte ich mir. Und schließlich konnte ich es sogar genießen, mich in Ruhe zu lassen und meinen Arbeitstag nicht vom Terminkalender, sondern vom Augenblick und seinen Notwendigkeiten bestimmen zu lassen. Ich wurde freier für das, was im Moment nötig ist.
Bald habe ich mir natürlich einen neuen Kalender angeschafft. Aber meine Erfahrungen aus der kalenderlosen Zeit will ich nicht aus meinem Gedächtnis streichen. Und ich verstehe auch viel besser, wie es Martin Luther gegangen sein muss. Von ihm ist überliefert, dass er sich, wenn sich die Ereignisse um ihn überstürzten, zum Gebet und zur Stille zurückgezogen hat. Gerade dann, ausgerechnet dann, wenn dazu keine Zeit zu sein schien, hat er sich die Zeit dafür genommen. Das ist wohl die beste Weise, sich selbst in Ruhe zu lassen und offen zu werden – offen dafür, dass Gott zu mir spricht.
Ich wünsche Ihnen einen guten Tag, Ihr Pfarrer Michael Opitz aus Düsseldorf.