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Kirche in WDR 3 | 26.03.2019 | 07:50 Uhr
Erwartungshaltung
Guten Morgen
„Ich hab einfach zu hohe Erwartungen“, sagt ein junger Mann zu seinem Sitznachbarn im Zug.
Ich muss schmunzeln und kann mir denken, worüber sie sich unterhalten. Die große Liebe. Zu hohe Erwartungen können es einem wirklich schwer machen, denke ich mir und erwische mich dabei, wie ich ja selbst mit hohen Erwartungen in den Zug gestiegen bin. Schließlich ist es mein Urlaub und da erwarte ich Ruhe und Erholung und endlich Zeit für alles, wofür sonst immer die Zeit fehlt. Zum Beispiel zum Briefe schreiben. Ich will grad mit dem ersten Brief beginnen und denke, vielleicht könnte ich mal an meine Erwartungshaltung schreiben. Und lege los:
Liebe Erwartungshaltung!
Mein ganzes Leben
schon bist Du an meiner Seite.
Ich habe das
Gefühl, Du bist mit mir groß geworden. Mein Körper wächst nun nicht mehr, aber
irgendwie hörst Du gar nicht mehr auf zu wachsen.
Immer besser
kannst Du beschreiben, was Du von meinem Leben und dem Leben meiner Mitmenschen
willst.
Immer lauter
machst Du Dich,
Und ich merke, wie
Du rebellierst, wie Du Dich zur Wehr setzt gegenüber Erwartungshaltungen, die
von außen an Dich herangetragen werden und so gar nicht zu Dir passen.
Liebe
Erwartungshaltung,
Du weißt, wie oft
Du schon enttäuscht worden bist.
Wie dann alles
doch ganz anders kam, als Du Dir das im Vorfeld so schön ausgedacht hattest.
Bist Du deshalb so
verhalten und skeptisch, wenn es um Gott geht?
Gott, der tröstet, der stark macht was schwach ist und der die Welt in ihren
Fugen zusammenhält? Der dauerhaften Frieden bringt und wahre Liebe.
Was, wenn Gott
wirklich käme?
Wie damals in
Jerusalem. Da kommt er auf einem Eselchen geritten.
Die Menschen haben
ihn sehnsüchtig erwartet. Den Retter der Welt. Brot für alle. Trost für alle.
Frieden für alle.
Hättest Du Dich
wie die Menschen damals mitreißen lassen?
Hättest Du auch
die Palmzweige hochgehalten?
Und den Frieden
besungen?
Ich kenne Dich zu
gut liebe Erwartungshaltung,
bei der kleinsten
Enttäuschung hättest Du Dich aufgebaut
und Dich dann
wahrscheinlich auch mitreißen lassen, wenn sich das Gewedel der Palmenzweige in
Peitschenschläge verwandelt.
Und dennoch liebe
Erwartungshaltung bist Du ein Teil von mir.
Und so hat Gott
auch mit Dir seinen Bund geschlossen.
Gott selbst zieht gewaltlos und
friedlich auf einem Eselchen in Jerusalem ein. Und zeigt all den
Erwartungshaltungen der Sehnsüchtigen, die ins große Hosianna einstimmen:
Es stimmt. Ich bin der Friedenskönig.
Aber ich gehe einen anderen Weg, als ihr euch das vorstellt.
Ich beschreite den Kreuzweg des
Friedens. Und so komme ich nicht als großer König, sondern als einer, der das
ganze Leid durchschreitet: Verleumdung, Folter, qualvolle Ermordung am Kreuz.
Das, meine liebe Erwartungshaltung, geht nicht nur Dir quer. Da zerbricht der
Traum vom großen glänzenden Kommen Gottes. Liebe Erwartungshaltung, lass Dir
sagen:
Jesus, der Sohn Gottes, kommt. Er
kommt am Ende aller Tage, um das Verlorene heimzuholen. Die zu hohen und zu
niedrigen Erwartungen. Die Erwartungen, die sich leider nie erfüllt haben und
solche Erwartungen, gegen die man sich nicht wehren konnte. Und er kommt auch
jetzt schon dorthin, wo zwei oder drei in seinem Namen versammelt sind und ihn
erwarten. Das hat er vor seinem Tod versprochen. Und diese Erwartung darf ruhig
noch ein wenig weiter wachsen in mir.
Es grüßt Sie, Pfarrerin Anne Wellmann aus Duisburg.