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Kirche in WDR 3 | 13.06.2019 | 07:50 Uhr
Himbeeren
Heute ist Jäte-deinen-Garten-Tag. Gut, dass ich darin nur mäßig begabt bin. So war mir doch irgendwie durchgegangen, in den neuen Garten mein Lieblingsobst zu pflanzen. An alles Mögliche hatten wir gedacht, Johannis- und Brombeeren, etwas Wein, ein Apfelbaum, ein Kirschbaum. Nur Himbeeren, die hatten wir irgendwie vergessen. Doch: Weil das mit dem Unkraut-Jäten nur ansatzweise geklappt hat, ist meine Lieblingsfrucht einfach an mehreren Stellen von den Nachbarn zu mir rübergewachsen. Sehr praktisch, lecker und Marmeladenglas füllend. Die vergessene Lieblingsfrucht ist einfach von der Nachbarin in unsern Garten eingewandert, immigriert, ist schon fast eine Himbeerhecke geworden. Köstlich.
Also, jäten Sie ihren Garten, aber übertreiben Sie es nicht. Lassen Sie hier und da etwas Spitzwegerich stehen, Mohnblumen zwischen den Steinen sowieso, und was sie sonst noch so anlachen möchte.
Im Mt-Evangelium (Mt 13,24 ff) hören wir von Jesus, der sagt: Es steht euch gar nicht zu, Unkraut und Weizen zu trennen. Überlasst mir das. Es wird sortiert, aber nicht jetzt und nicht von euch.
In einem Gedicht stellt Hilde Domin die Frage an den großen Sämann. Den Schöpfer, der Weizen UND leuchtendes Unkraut zusammen beschert hat:
Sämann
Der große Sämann,
ungerufen,
blies einen Atem von Blumensamen u?ber mich hin
und streute eine Saat
von Kornblumen und rotem Mohn
in meine Weizenfelder.
Das leuchtende Unkraut,
mächtiger Sämann,
wie trenn ich es je
von den Ähren,
ohne die Felder
zu roden?
Hilde Domin
Ist die Antwort nicht: Lass es stehen, erfreu dich dran, sei tolerant, sei nicht die Bestimmerin. Und: koch gegebenenfalls Himbeermarmelade.
Einen guten Tag mit leuchtendem Unkraut wünsche ich Ihnen. Susanne Moll, Pastoralreferentin aus Aachen.
Aus: Hilde Domin, Sämtliche Gedichte © S. Fischer Verlag Frankfurt am Main 2009