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Kirche in WDR 3 | 13.01.2020 | 07:50 Uhr
Lebens-Klecks
Guten Morgen!
Marie
ist sauer. Nur einen Moment hat sie mal nicht aufgepasst. Und schon ist es
passiert: Ein dicker Tintenklecks breitet sich in ihrem Schulheft aus. So ein
Ärger! Dabei hat sie sich für dieses neue Jahr so viel vorgenommen: Sie will in
der Schule etwas besser aufpassen und aktiver mitmachen im Unterricht.
Besonders bei den Hausaufgaben will Marie sich viel mehr Mühe geben. Als die
Schule nach den Weihnachtsferien anfängt, hat sie auch richtige Lust dazu. In Maries
Heft kann man das gut erkennen: die ersten neu beschriebenen Seiten sind mit
sorgfältiger und gleichmäßiger Handschrift gefüllt. Na, ein paar Seiten weiter
hatte sie wohl schon wieder etwas weniger Zeit und Lust: die Schrift sieht da
richtig krakelig aus. Durchgestrichenes, Gelöschtes und Übermaltes häufen sich.
Und jetzt auch das noch: Nicht nur der Tintenklecks
breitet sich aus, jetzt ist ihr auch noch der
Füller auf das Blatt gefallen. Das ganze Blatt ist jetzt übersät mit großen und
kleinen Tintenklecksen.
Und jetzt? Jetzt kann sie die Hoffnung wohl ganz aufgeben, ihre guten Vorsätze
einhalten zu können. Aber irgendwie muss sie das doch wieder hinbekommen
können. Aber wie? Marie versucht es mit allem Möglichen, mit Löschpapier, mit
dem Radiergummi. Diese hässlichen Flecken müssen doch verschwinden können.
Vielleicht, wenn sie es noch etwas fester versucht? Aber das geht auch nicht,
da bekommt das Heft Löcher. Und wie wäre es, die Seite ganz einfach
herauszureißen? Aus den Augen, aus dem Sinn – so sagt man doch? Aber nein, das
geht gar nicht. Das ganze Heft würde dadurch wacklig. Andere, wichtige Seiten
würden ihren Halt verlieren.
Das Malheur lässt sich offenbar nicht ungeschehen machen. Also: Was kann sie
jetzt noch tun?
Marie atmet einmal tief durch und dann, dann blättert sie die verunstaltete
Seite einfach um. Wie neu, wie unberührt liegt das Heft jetzt vor ihr – und sie
fängt auf einer sauberen Seite von neuem an. In der Hoffnung, dass sie es nun
schaffen wird, das Heft ordentlich weiter zu führen.
Man lernt nicht für die Schule, sondern fürs Leben, sagt man ja. Ob Marie aus
ihren Klecksen in ihrem Schulheft etwas fürs Leben lernen kann? Vielleicht,
dass es in ihrem Lebensbuch auch weiterhin „Flecken“ geben wird, die sie nicht
entfernen kann.
Ganz gleich wie viele
gute Vorsätze sie hat. Vielleicht wird sie einmal andere durch unüberlegte
Worte verletzen. Vielleicht wird sie Schuld auf sich laden, weil sie jemandem
nicht geholfen hat, der ihre Hilfe brauchte. Oder sie wird etwas falsch machen,
weil sie es zu gut gemeint hat.
Und gleichzeitig kann sie von den Klecksen im Schulheft lernen: Ich habe immer wieder
die Chance, neu anzufangen. Gott steht allen Menschenkindern bei,
eine neue Seite im Buch ihres Lebens
aufzuschlagen. Gott sei Dank.
Ich wünsche Ihnen einen guten Tag, Ihr Pfarrer Michael Opitz aus Düsseldorf.
Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze