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Kirche in WDR 3 | 27.01.2020 | 07:50 Uhr
Nie wieder (75. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz)
O-Töne:
Gesa (18): In einem Raum, da waren ganz viele Fotos. Nicht von Häftlingen, sondern von Familien und von ganz normalen Menschen in ihrem Alltag. Und da kam ganz viel Trauer auf, weil ich dann erst realisiert habe, dass diese Menschen ganz normale Leben geführt haben. Und dann plötzlich dann war dies ganz normale Leben weg. (...)
Auschwitz ist für mich ein Ort, den auf jeden Fall jeder Mensch besuchen soll, um zu lernen.
Marvin (26): Für mich war ´s der Raum, in dem die Haare der Häftlinge aufgetürmt waren. Und das war, glaube ich so der Raum, an dem ich am meisten so darüber nachgedacht habe, was da eigentlich – ja - vorgegangen ist und wie bestialisch es war
Lina (26): Also, ich habe mich auf das Schlimmste innerlich vorbereitet und es war erst einmal ganz lange nichts. Aber irgendwann kam es dann wie ein Schlag ins Gesicht, mit voller Wucht und man wurd´ von den Gefühlen regelrecht überrannt. (…)
Ich finde, jeder sollte mal da gewesen sein, weil der Ort einfach unglaublich viele Dinge noch einmal präziser erzählen kann, als ein Lehrer in der Schule oder eine Dokumentation im Fernsehen.
Melina (18): Der eindringlichste Moment vor Ort: Es war so eine drückende Stille. (…) Ich habe kein Vogelzwitschern gehört. Ich habe kein Auto gehört. Selbst die Menschen habe ich nicht gehört. Es war, als ob du ganz für dich alleine dort bist, und das war für mich sehr stark, das zu fühlen.
Melis (18): Auschwitz ist für mich ein Ort, den man nicht beschreiben kann. Man kann es versuchen nachzuvollziehen. Aber 100 Prozent nachempfinden kann man es nicht. (…)
Ich glaube, am Interessantesten zu hören ist, wie es sich anfühlt, wenn
eigene Freunde zu Feinden werden. Also, wenn dein Nachbar dich verrät und zum
Staat geht und sagt: Ja, der nebenan ist ein Jude, sperrt den weg.
Autorin: Diese jungen Erwachsenen von 18 bis 26 Jahren haben vor zwei Jahren mit der Evangelischen und der Alevitischen Jugend in Essen das ehemalige nationalsozialistische Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau besucht.
Heute vor genau 75 Jahren wurde Auschwitz befreit. Das Lager gilt
als Symbol für die Shoa, den Holocaust, die massenhafte Vernichtung und
Verfolgung von Juden durch die Nationalsozialisten und ihre Helfershelfer.
Allein in Auschwitz ermordeten sie über eine Million Menschen, zumeist Juden
aus Deutschland und anderen Ländern Europas. Insgesamt waren es sechs Millionen
Juden.
Die letzten Zeitzeugen mahnen, dies nicht zu vergessen. Und dem
Antisemitismus von heute mit aller Kraft zu widerstehen.
Es ist schon einige Jahrzehnte her. Da stand ich als Schülerin bei einer Studienfahrt im Konzentrationslager Mauthausen. Trotz aller Vorbereitung durch den Geschichtsunterricht: Das unermessliche Leid der hier Gefolterten und Ermordeten, die erkalteten Öfen, die leeren Baracken mit den harten Pritschen, die Gaskammern, an deren Luken heute die Spinnweben wehen, all das flößte mir ein solches Grauen ein, dass ich erst einmal nach dem Besuch nicht sprechen konnte.
Denn wie eine eiskalte Hand legte sich mir die Gewissheit aufs Herz: Du wärest nicht mutig genug gewesen, zu widerstehen. Du hättest Drohungen vielleicht auch nachgegeben, um dein eigenes Leben zu retten. Du hättest eine Wärterin sein können. Das war eine Erschütterung. Ich weiß um das Böse, das in mir lauert und mich verführen will.
Das Erschrecken, die Erschütterung – über die eigene schreckliche Möglichkeit.
Die Trauer und die Wut – über das, was so vielen Männern, Frauen und Kindern angetan wurde. Das alles ist hoffentlich so vielen eine Lehre, dass wir gemeinsam menschenverachtenden Gedanken widerstehen und uns nicht raushalten aus Konflikten, die Leben zerstören.
Die Worte der jungen Erwachsenen aus Essen machen mir Mut, dass das gelingen kann:
O-Töne:
Melis (18): Ich hab´ sehr, sehr viel geweint, das weiß ich noch. Es gab bestimmte Stellen, wo man einfach voller Emotionen war, und man wusste nicht, wie man das ausdrücken sollte. (…) Es reicht nicht, wenn man da einfach nur weint. Und es reicht auch nicht, wenn man da einfach nur traurig drüber ist. Das Einzige, was hilft, ist aktiv selber in der Öffentlichkeit zu stehen und was dagegen zu tun, wenn eine Sache passiert, die der ähnlich kommt.
Marvin (26): Auschwitz ist für mich Ort der Mahnung. Ort der Erinnerung. Und sollte für alle in Erinnerung bleiben. Mit dem Auftrag, dass so etwas nie wieder passiert.
Autorin: Es ist unser gemeinsamer Auftrag in dieser Gesellschaft, dass das nie wieder passiert meint Petra Schulze, Rundfunkpfarrerin aus Düsseldorf.
Weitere Informationen:
Die
„Evangelische Jugend Essen“ und die „Alevitische Jugend Essen“ präsentieren am
27.01.2020 eine Ausstellung zum 75. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz.
Unter dem Titel „GehDenken“ zeigen sie Bilder ihrer Gedenkstättenfahrt aus dem
Jahr 2018 mit Fotos von Olav Opdenakker, Heilermannstr. 5, 45138 Essen.
Die Evangelische Kirche im Rheinland zeigt ein Video von dieser Gedenkstättenfahrt (2018) nach Auschwitz und Krakau.
https://www.ekir.de/www/geh-denken.php (bis einschließlich 27.01.2020)
Quelle:
Alle O-Töne
mit freundlicher Genehmigung der Evangelischen Kirche im Rheinland, Marcel Kuß.
Die O-Töne stammen von Heiko Kantar.
Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze