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Kirche in WDR 3 | 09.04.2020 | 07:50 Uhr
Gastmahl
Guten Morgen.
Sie sitzen an einem gedeckten Tisch. Der Raum ist in leuchtende Orange- und Rottöne getaucht - Licht wie bei einem Sonnenuntergang am Meer. Dazu gebratener Fisch, Trauben, Reis, eine Suppe, knusprige Brote, Wasser und Wein, Zitronen. Sie liegen sich in den Armen, legen einander die Hand auf die Schulter, eine schmiegt sich müde und satt an ein Kissen… oder nein. Es ist kein Kissen. Es sind große Hände, die der Maler dieser Szene nur zart angedeutet hat. Sie tragen rote Wunden. Daran erkenne ich Jesus. Die Hände am Ende des Tisches verteilen Brot. An alle am Tisch. Männer und Frauen unterschiedlicher Hautfarben. Sie kommen aus der ganzen Welt. Gefangene, Geflüchtete und Kranke sind dabei. Sie sitzen zusammen und lassen es sich gut gehen. Friedlich.
Das Bild stammt von dem Maler und Priester Sieger Köder. Er hat ein so genanntes Hungertuch gemalt. Das sind große Tücher mit verschiedenen Szenen aus dem Leben Jesu. In der Fastenzeit vor Ostern hängen sie in den Kirchengemeinden oder verhüllen das Kreuz in den Kirchen. Die Malerinnen und Maler dieser Hungertücher kommen meist aus der ganzen Welt. Aus Regionen, in denen Menschen arm sind oder unterdrückt. Und sie verbinden die Situation, in der wir heute leben mit dem Leben Jesu. Das Bild vom großen Gastmahl, zu dem Gott am Ende der Zeiten alle Menschen einlädt und sie vereint, ist für mich immer mit dem Bild von Sieger Köder verknüpft.
Das ist die große Hoffnung von Christinnen und Christen, die sie immer wieder auch noch in dunkelste Zeiten hineinmalen: Wir gehören zusammen. An einen Tisch. In Frieden. Alle werden satt.
Ohne diese Hoffnungsbilder kann ich einpacken, denke ich. Sie sind der Hoffnungstopf, aus dem ich schöpfe, wenn die Zeiten nicht nach Hoffnung aussehen.
Auf Facebook sehe ich das berühmte Abendmahlsgemälde von Leonardo da Vinci. Auf diesem Kunstwerk sind normalerweise Jesus und seine Jünger an einer großen gedeckten Tafel zu sehen. Jemand hat ein Foto von dem Gemälde bearbeitet. Die Jünger sind wie kleine Icons, kleine Profil-Bildchen oben über der Tafel angebracht. Wie bei einer Videokonferenz. Jesus sitzt allein am Tisch. Zeit der Pandemie. Zeit des Kontaktverbotes. Nichts mit „an einem Tisch sitzen“. Und doch: Heute ist Gründonnerstag. Da würden wir in den Kirchen normalerweise Abendmahl zusammen feiern. Und an das letzte Abendmahl Jesu erinnern. Die weltweite Gemeinschaft spüren in Texten und Liedern. „Wir sind noch nicht im Festsaal angelangt, aber wir sind eingeladen“. Von dem Befreiungstheologen, Poeten und Politiker Ernesto Cardenal ist dieser Text.
Was kann ich heute spüren, von diesem Glauben? Was schmecken. Gottesdienst am Küchentisch oder am Esstisch allein. Mit Hilfe von Texten und Liedern, die die Gemeinde mir zur Verfügung stellt. Per Email, an der Wäscheleine zum Mitnehmen vor der Kirche oder in der Tüte.
Ich werde heute dieses Bild von Sieger Köder anschauen. Und mich an den evangelischen Pfarrer Dietrich Bonhoeffer erinnern, der heute vor 75 Jahren ermordet worden ist. Er hat mit einer Kirche gehadert, die die Zeichen der Zeit nicht gesehen hat. In der ganzen Welt ist er unterwegs gewesen und hat eine geistliche Heimat gesucht. (1)
Glaube ist für Bonhoeffer immer gelebter Glaube gewesen. Eine Christin erkennt man an ihren Taten. Gemeinsames Leben ist ihm wichtig. Von Menschen anderer Konfession lernen. Er will Mahatma Gandhi besuchen. Denn: „Die Ordnung des internationalen Friedens ist heute Gottes Gebot für uns.“ (2) Dietrich Bonhoeffer hat umgetrieben, was man für den Frieden tun kann. Im gemeinsamen Leben im Ashram von Gandhi will er etwas über den Geist und Methoden des gewaltlosen Widerstands lernen. Gandhi, der sich für die Versöhnung von Hindus und Muslimen eingesetzt hat, hat Bonhoeffer dann auch nach Indien eingeladen. Zu dieser Reise kommt es dann nicht mehr. Bonhoeffer setzt alle Energie an eine geistliche Erneuerung in Deutschland. Für ihn zünde ich heute eine Kerze an. Und für alle, die nachdenklich sind, wie wir diese Welt jeden Tag ein wenig besser machen können.
Alle sind wir eingeladen.
Es grüßt Sie, Petra Schulze, Rundfunkpfarrerin in Düsseldorf.
( 1 ) „Die große Not in Europa und besonders in Deutschland besteht nicht in der wirtschaftlichen und politischen Unordnung, sondern es geht um eine tiefe geistliche Not.“ „… wenn uns nicht alle Zeichen der Zeit täuschen, läuft alles auf einen Krieg in naher Zukunft hinaus; und der nächste Krieg wird gewiss den geistlichen Tod Europas zur Folge haben.“ Das schreibt Bonhoeffer schon 1934 in großer Sorge an Mahatma Gandhi, der sich konsequent für gewaltlosen Widerstand eingesetzt hat.
Aus: Zeitzeichen. Evangelische Kommentare zu Religion und Gesellschaft Nr. 4 / 21. Jg. April 2020, Bonhoeffers Brief an Ghandi von Wolfgang Huber, Frankfurt: Gep, S. 13f.
( 2 ) Pfälzisches Pfarrerblatt: Dietrich Bonhoeffer - der Entscheidungsweg eines lutherischen Christen von Paul Gerhard Schoenborn, Dellbusch 298, 42279 Wuppertal
http://www.pfarrerblatt.de/text_240.htm
Ebd.. Anmerkung 9 : DBW Band 11 „Ökumene, Universität, Pfarramt 1931 – 1932“, Gütersloh 1994, S. 338.