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Kirche in WDR 3 | 01.09.2020 | 07:50 Uhr
Nie wieder Krieg
Heute ist der Antikriegstag. Dieser Gedenktag findet immer am 1. September statt. Denn: An diesem Tag im Jahre 1939 begann der zweite Weltkrieg mit dem Überfall deutscher Truppen auf Polen. Dieser Krieg war das Blutigste und Brutalste, was die Menschheit bislang gesehen hat. Unlösbar mit diesem Krieg verbunden sind die Shoah, der Völkermord an den Juden Europas, das Zünden der ersten Atombombe und die Vertreibung vieler Millionen Menschen aus ihrer Heimat.
Ich wurde genau eine Generation später nach Kriegsende geboren. Vor 50 Jahren. Meine Eltern sind beide noch im Krieg geboren, mein Vater kann sich erinnern, als Kind in den Trümmern seines Heimatortes Datteln gespielt zu haben. Mein Großvater väterlicherseits hingegen sprach nie über das, was er konkret erlebt hatte als deutscher Soldat. Er ließ auch Jahrzehnte später durchblicken, dass das Dritte Reich gar nicht so schlimm gewesen sei, aber traute sich das natürlich nicht direkt zu sagen. Sicher haben ihn auch die langen Jahre in der russischen Gefangenschaft geprägt. Mein Vater soll seinen Vater bei dieser Rückkehr das erste Mal gesehen haben, da dürfte er etwa neun gewesen sein.
Das alles hat mich beschäftigt, obwohl ich selbst den Krieg nicht erlebt habe. Und so sehr ich mich mit dieser Geschichte befasst habe, so sehr war und ist es für mich vollkommen unverständlich, wie es überhaupt zu diesem Gemetzel und diesen Verbrechen kommen konnte, gerade unter Menschen, die doch in der Mehrzahl getaufte Christen waren. Sogar vom damaligen Erzbischof von Paderborn, Lorenz Jäger, ist eine Predigt überliefert, in der er nach der Meinung einiger Kritiker den Krieg befürwortet hat. Diese Predigt war Anlass für eine historische Studie, die unser Erzbistum Paderborn gerade veröffentlicht hat[1]. Die Studie entlastet Lorenz Jäger zwar von dem Vorwurf, dem Rassewahn der Nationalsozialisten verfallen gewesen zu sein. Aber den Krieg hat der damalige Erzbischof offenbar für gerecht oder zumindest gerechtfertigt gehalten. Da war er ebenso Kind seiner Zeit wie viele andere. Aus heutiger Sicht ist das nicht leicht zu verstehen.
Der heutige Antikriegstag verbindet sich mit dem 75. Jahrestag des Kriegsendes. Aber die Feierlichkeiten zum 8. Mai sind durch die Corona-Pandemie weitgehend untergegangen. Umso wichtiger ist mir die Erinnerung an jene große Rede zum 40. Jahrestag des Kriegsendes, die der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker 1985 gehalten hatte. Ich war damals fünfzehn und wir Schüler waren in der Aula unseres Gymnasiums versammelt, um vor dem Fernseher diese Rede zu hören. Sie traf mich damals wirklich mitten ins Herz. Heute, 35 Jahre später, erstaunen mich diese unglaublichen Worte noch immer, vielleicht weil sie nach wie vor so aktuell sind. Der Bundespräsident sagte damals:
Sprecher:
"Wir Älteren schulden der Jugend nicht die Erfüllung von Träumen, sondern Aufrichtigkeit. Wir müssen den Jüngeren helfen zu verstehen, warum es lebenswichtig ist, die Erinnerung wachzuhalten. Wir wollen ihnen helfen, sich auf die geschichtliche Wahrheit nüchtern und ohne Einseitigkeit einzulassen, ohne Flucht in utopische Heilslehren, aber auch ohne moralische Überheblichkeit. Wir lernen aus unserer eigenen Geschichte, wozu der Mensch fähig ist. Deshalb dürfen wir uns nicht einbilden, wir seien nun als Menschen anders und besser geworden. Es gibt keine endgültig errungene moralische Vollkommenheit - für niemanden und kein Land! Wir haben als Menschen gelernt, wir bleiben als Menschen gefährdet. Aber wir haben die Kraft, Gefährdungen immer von neuem zu überwinden. Hitler hat stets damit gearbeitet, Vorurteile, Feindschaften und Hass zu schüren. Die Bitte an die jungen Menschen lautet: Lassen Sie sich nicht hineintreiben in Feindschaft und Hass gegen andere Menschen, gegen Russen oder Amerikaner, gegen Juden oder Türken, gegen Alternative oder Konservative, gegen Schwarz oder Weiß. Lernen Sie, miteinander zu leben, nicht gegeneinander.“[2]
Aufrichtigkeit in der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und das immer wieder neue Lernen, miteinander zu leben statt gegeneinander. Das wünsche ich Ihnen und mir,
heute am Antikriegstag.
Ihr Michael Bredeck aus Paderborn.
[1] https://www.deutschlandfunk.de/studie-ueber-bischof-in-der-ns-zeit-nationalreligioes-nicht.886.de.html?dram:article_id=482112
[2] https://www.tagesschau.de/inland/rede-vonweizsaecker-wortlaut-101.html