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Choralandacht | 02.01.2021 | 07:50 Uhr

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„Der du die Zeit in Händen hast” (eg 64)

Musik 1 (instrumental) Der du die Zeit in Händen hast, Komponist: Burck, Joachim; Text: Klepper, Jochen; Interpret: Gerhard Schnitter & Das Solistenensemble; Album: Der du die Zeit in Händen hast; Label: Hänssler Classic; LC: 06047.


Autor: Vor zwei Tagen ging ein besonderes, ein seltsames, ein schwieriges Jahr zu Ende: Manch einer wird sich am Silvestertag erinnert haben, wo und wie seine Pläne durch die Corona Pandemie über den Haufen geworfen wurden. Die Abiturfeier unter freiem Himmel, der runde Geburtstag nur im kleinen Kreis, der Urlaub ausgefallen. Von wegen: frohes neues Jahr! Für viele wurde Kurzarbeit zur Realität. Manche berufliche Existenz wurde zerstört. Und als das Virus uns plötzlich sehr nahekam, haben wir alle hautnah gespürt, was wir eigentlich wissen: unser Leben ist verletzlich, unsere Lebenszeit ist endlich. Manche haben Abschied von lieben Menschen nehmen müssen, ohne wirklich Abschied nehmen zu können. Nicht im Krankenhaus, nicht im Altenheim – und viele nicht einmal auf dem Friedhof. Gestern haben wir den Beginn eines neuen Jahres gefeiert. Am Jahreswechsel schauen viele von uns nach vorne: mal erwartungsvoll, mal unsicher, ängstlich, besorgt: Was wird 2021 uns bringen? Wie wird es mir persönlich ergehen? Welche gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen werden unser Land und unsere Welt im neuen Jahr bewegen oder möglicherweise sogar erschüttern?


Musik 2 (Choral; Strophe 1; Melodie Siegfried Reda; eg 64; Vokalensemble Sennestadt)

Der du die Zeit in Händen hast; Komponist: Reda, Siegfried; Text: Klepper, Jochen; Chor: Vokalensemble Sennestadt; Leitung: Schenk, Dorothea; Album: Unser Klagen wird zum Loben. Choralsätze zu Jochen Kleppers Liedern im Gesangbuch; Luther-Verlag; Best.-Nr.: ISBN 3-7858-0461-X.


Sprecherin (Overvoice): Der du die Zeit in Händen hast, Herr, nimm auch dieses Jahres Last und wandle sie in Segen. Nun von dir selbst in Jesus Christ die Mitte fest gewiesen ist, führ uns dem Ziel entgegen


Autor: „Der du die Zeit in Händen hast“. Ein Gedicht von Jochen Klepper zum Jahreswechsel, geschrieben am 20. Oktober 1937. „Absolut jüdisch“ kommentiert die Reichsschrifttumskammer damals diese Zeilen. Und: hier fände sich die „knechtische Einstellung der Psalmen“. Das zeigt, wie in der Zeit des Dritten Reiches mit dem jüdischen Glauben und der jüdischen Kultur umgegangen wurde. Das Gedicht wurde dennoch veröffentlicht, es erschien am 1. Januar 1938 in der „Deutschen Allgemeinen Zeitung“. In der Sammlung „Kyrie“ aus dem gleichen Jahr versieht Klepper den Text mit der Überschrift „Neujahrslied“.

Jochen Klepper nimmt in seinem Gedicht Bezug auf das Bibelwort aus Psalm 31,16: „Meine Zeit steht in deinen Händen.“ Er weiß: „Das Leben ist und bleibt mir unverfügbar. Ich weiß nicht, wie viel Lebenszeit mir bleibt.“ Mit dieser Unsicherheit wendet sich der Autor an Gott. Wenn Klepper von „dieses Jahres Last“ spricht, dann kann damit sowohl das zu Ende gegangene Jahr als auch das neu beginnende gemeint sein. Es ist ja immer so: Die schwierigen Erfahrungen des letzten Jahres können wir benennen. Das, was uns im kommenden Jahr belasten wird, ahnen und wissen wir nicht. Frei von Belastungen wird es vermutlich nicht sein. Was ich bemerkenswert finde: Jochen Klepper bittet Gott nicht darum, ihn von Lasten zu befreien. Seine Bitte lautet: „wandle sie - die Last - in Segen.“ So sieht Gottvertrauen aus.

Vor wenigen Tagen haben wir in unseren Kirchen das Weihnachtsfest gefeiert. Mir ist in diesem Jahr ein Wort aus dem Johannesevangelium (3,16) besonders wichtig geworden, das fest zu Weihnachten gehört:


Sprecher: „Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“


Autor: Das ist die Mitte des christlichen Glaubens, die Mitte der Zeit: Gott kommt uns nahe, wird verletzlich, und in dem Kind in der Krippe wird er Mensch. Er wird zu unserem Bruder. Er verspricht: „Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“ (Matthäus 28,20). Klepper schließt mit der Bitte: „…führ uns dem Ziel entgegen.“ So formuliert er seinen Wunsch, Gott nahe zu sein. Hören wir noch einmal diese erste Strophe, jetzt in einer anderen Komposition:


Musik 3 (Choral, Strophe 1; Melodie Joachim Burck; Chorus Cantate Domino)

Der du die Zeit in Händen hast; Komponist: Burck, Joachim; Text: Klepper, Jochen; Chor: Chorus Cantate Domino; Leitung: Karas, Markus; LC: Z2323-WDR Eigenproduktion.


Autor: 1937. Jochen Klepper und seine Familie sind schon damals massiv bedroht und gefährdet. Sein „Neujahrsgedicht“ endet ursprünglich so:


Sprecher: „Lass - sind die Tage auch verkürzt, wie wenn ein Stein in Tiefen stürzt - uns dir nur nicht entgleiten.“ (1)


Autor: Der 1903 geborene Klepper ist mit einer jüdischen Frau verheiratet, einer Mutter von zwei Kindern. Als Schriftsteller hat er durchaus Erfolg. Einige seiner Bücher verkaufen sich außerordentlich gut. Doch der Judenhass der Nationalsozialisten, die Verfolgung, Unterdrückung und konsequent geplante Vernichtung jüdischen Lebens gefährden Jochen Klepper und seine Familie ganz existenziell. Die ältere Tochter kann noch vor Kriegsbeginn nach England ausreisen. Dies wird der jüngeren Tochter verwehrt. Und Jochen Klepper wird die Zwangsscheidung von seiner jüdischen Frau angekündigt. Ihr droht die Deportation. Am 11. Dezember 1942 nimmt er sich gemeinsam mit seiner Frau und Tochter das Leben. Er schreibt in sein Tagebuch:


Sprecher:Über uns steht in den letzten Stunden das Bild des Segnenden Christus, der um uns ringt. In dessen Anblick endet unser Leben.“ (2)


Musik 2 (Choral, Strophe 6; Melodie Siegfried Reda; eg 64)


Sprecherin (Overvoice): Der du allein der Ewge heißt und Anfang, Ziel und Mitte weißt im Fluge unsrer Zeiten: bleib du uns gnädig zugewandt und führe uns an deiner Hand, damit wir sicher schreiten.


Autor: Jochen Klepper selbst hat den Schluss seines Gedichtes noch einmal verändert. Den dahinfliegenden Zeiten stellt der damals 34-jährige Gottes Ewigkeit gegenüber. Er vertraut darauf, dass auch die Tage eines Tausendjährigen Reiches gezählt sind. Zugleich klingt es wie ein Glaubensbekenntnis, wenn er Gott als den „Ewge(n)“ anspricht, der „Anfang, Ziel und Mitte“ kennt. In ihm weiß er sich geborgen. Dass Klepper hoffen könnte, die bedrängenden und ihn und seine Familie gefährdenden Umstände würden sich ändern, ist nicht spürbar. Im Gegenteil: Die Gefahr wächst von Tag zu Tag, das Rettende aber offenkundig nicht. (3) Klepper bittet Gott deshalb in bewegten Zeiten vertrauensvoll um seine Nähe: „bleibt uns gnädig zugewandt“. Er bittet Gott um Führung und Begleitung: „und führe uns an deiner Hand, damit wir sicher schreiten.“ Sicher schreiten. Sich führen lassen. Vertrauen finden in unsicheren Zeiten: Gott ist für ihn die alleinige und verlässliche Adresse seiner Bitten.


Musik 3 (Choral, Strophe 6; Melodie Joachim Burck; Chorus Cantate Domino)


Redaktion: Landespfarrer Dr. Titus Reinmuth



1. Aus: Die Lieder des EG Bd. 1, Bärenreiter 2012
2. Jochen Klepper: Unter dem Schatten deiner Flügel. Aus den Tagebüchern der Jahre



1932–1942. Hrsg. von Hildegard Klepper.
Deutsche Verlags-Anstalt,



Stuttgart 1956, S. 1133 (Tagebucheintrag vom 10. Dezember 1942)
3. Vgl. Hölderlin: „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.“



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