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Choralandacht | 27.02.2021 | 07:50 Uhr

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O Welt, ich muss dich lassen (eg 521)

Musik 1, Choralvorspiel (Orgel)

Titel: O Welt, ich muss dich lassen; Werktitel: 11 Choralvorspiele, op. 122, B50 (fu?r Orgel) Komponist: Brahms, Johannes; Bearbeiter: Busoni, Ferruccio; Interpret: Levit, Igor (Orgel); Label: Sony Classical; LC: 06868.


O-Ton 01 Clahsen
: Also die Maria hatte die Krankheit ALS, ich hatte schon von der Krankheit vorher gehört, aber noch nie jemanden getroffen, der diese Krankheit wirklich hat. Und sie hatte diese ALS- Krankheit, diese Lähmung, die kam von unten nach oben stieg die Krankheit.


Autor: Karin Clahsen ist Hospizhelferin. Sie begleitet Menschen, die aufs Sterben zugehen. Als Ehrenamtliche hat sie dafür eine eigene Ausbildung gemacht: Sterbende begleiten lernen. Um sich vorzubereiten auf das Zuhören, Mitgehen, Aushalten, Bleiben. Karin Clahsen erzählt mir von dieser einen Begleitung: Maria. Sie weiß noch genau, wie es angefangen hat.


O-Ton 02 Clahsen: Das war so Ende Januar, Anfang Februar. Ich bin zu Hause los, also schon ein bisschen aufgeregt. Auch wie man dann so vor so einer Situation ist. Und ich weiß, bei mir im Vorgarten haben die Schneeglöckchen geblüht und hab dann nur paar Schneeglöckchen gepflückt und bin dann also zu Maria und habe mich direkt auf Anhieb mit ihr sehr... Ja, wir waren auf einer Wellenlänge, es war eine sehr nette Atmosphäre.


Autor: Wie gesagt, Maria leidet damals unter amyotropher
Lateralsklerose, kurz: ALS. Eine nicht heilbare Erkrankung. Sie führt zu einer zunehmenden Muskelschwäche und Muskelschwund. Maria lebt mit ihrem Mann zusammen, auch die Mutter lebt mit im Haus. Doch sie alle kommen an Grenzen.


O-Ton 03 Clahsen: Ja, und es war wirklich erschütternd, muss ich sagen, im Laufe der Zeit, wo eben ihre Möglichkeiten immer geringer wurden, sich zu bewegen. Es war nachher so, sie konnte ihre Tränen nicht mehr abwischen, wenn wir uns unterhielten und die Tränen kullerten. Sie hat mir also auch sehr viel anvertraut und sehr viel erzählt und sie konnte nicht mehr selbstständig trinken. Ich musste dann ihren Strohhalm festhalten und es war also wirklich, es war wirklich schlimm.


Musik 2 (Choral, Strophe 1)

Titel: O Welt ich muss dich lassen (fu?r Singstimmen); Komponist: Isaak, Heinrich

Praetorius, Michael (Satz); Text: unbekannt; Chor: Stimmwerck; Album: Die helle Sonn leuchtet. Deutsche Kirchenlieder (Stimmwerck); Label: cpo; LC: 08492


O Welt, ich muss dich lassen, ich fahr dahin mein Straßen ins ewig Vaterland.

Mein’ Geist will ich aufgeben, dazu mein’ Leib und Leben setzen gnädig in Gottes Hand.


Autor: „O Welt, ich muss dich lassen“ – der Choral nimmt diese besondere Stimmung auf: das Loslassen, das Abschied nehmen, das eigene Leben am Ende in Gottes Hand legen. Das Kirchenlied aus dem 16. Jahrhundert geht dabei auf ein altes Volkslied zurück. „Innsbruck, ich muss dich lassen, ich fahr dahin mein Straßen, in fremde Land dahin“. Ein Liebhaber muss seine Freundin in der Heimat zurücklassen. Schwer genug. Ein unbekannter Dichter hat daraus ein Glaubenslied gemacht. Es soll helfen, das eigene Leben loszulassen und dabei auf Gott zu vertrauen.


Karin Clahsen, die Hospizhelferin, hat erlebt, wie schwer das sein kann. Sieben Monate begleitet sie Maria, die an ALS erkrankt ist. Eine Krankheit, an der sie sterben wird.


O-Ton 04 Clahsen: Also es hat mir in der Seele weh getan. Also es nimmt einen schon mit. Es löst also schon viele Fragen in einem selber aus. Also es hat ja auch was mit uns gemacht, mit uns beiden. Und ja, es war also auch für mich also eine wirklich eine sehr wichtige Zeit.


Autor: Denn ein Sterben zu begleiten, verändert auch den eigenen Blick aufs Leben.


O-Ton 05 Clahsen: Also man sieht alles viel kostbarer. Das alles, das ganze Umfeld ist kostbarer geworden. Die Menschen und auch die Nöte sind kostbar, ...


Autor: Das ist die Erfahrung der Hospizhelferin: Auch die schwere Zeit ist eine kostbare Zeit. Allerdings: Maria, die Patientin, hat sich schon früh gefragt, ob sie diesen Weg mit diesen Nöten wirklich bis zum Schluss gehen kann. Denn irgendwann wurde es sehr schwer.


Musik 2 (Choral, Strophe 2)

Mein Zeit ist nun vollendet, der Tod das Leben endet, Sterben ist mein Gewinn;

kein Bleiben ist auf Erden; das Ewge muss mir werden, mit Fried und Freud ich fahr dahin.


Autor: Maria kommt ins Hospiz. Spätestens jetzt wird klar: Kein Bleiben ist auf Erden. Hier beginnt wirklich die letzte Lebensphase. Karin Clahsen kommt jetzt jeden Tag zu ihr. Und sie erfährt, dass Maria schon vor einiger Zeit eine Art Notausgang für sich vorbereitet hat.


O-Ton 07 Clahsen: Ja, in einem Gespräch hab ich dann davon erfahren, dass die Familie, also ihr Mann, ihre Mutter, sie selber also schon Kontakte in die Schweiz aufgenommen haben. Und dann fiel eben „Dignitas“ in der Schweiz und dass das da für sie schon alles geregelt war. Sie hatte alles bezahlt, sie brauchte eigentlich nur hinfahren. Das hab ich alles mitbekommen, habe mich da aber nicht zu geäußert. Ich habe es auch so einfach aufgenommen und stehen lassen im Raum.


Autor: Dignitas ist eine Sterbehilfeorganisation in der Schweiz. Maria hatte vorgesorgt für den Fall, dass sie die letzte Wegstrecke ihres Lebens nicht mehr gehen will. Vor genau einem Jahr hat in Deutschland das Bundesverfassungsgericht geurteilt, dass auch hierzulande der assistierte Suizid, also die Beihilfe zur Selbsttötung, ermöglicht werden soll. Das Gericht hat klargestellt: Freiheit und Selbstbestimmung gelten auch am Lebensende. In diesen Wochen bricht die Diskussion wieder auf, die ersten Gesetzentwürfe liegen vor.


O-Ton 08 Clahsen: Ich meine, wenn sie das so gemacht hätte, man hätte es ja akzeptieren müssen. Den ich begleite, der zählt. Und auch seine Aussagen, sein Leben. Das zählt. Ich bin ja nur die Begleitung. Das was ich möchte, interessiert da in dem Moment niemanden. und ich darf mich da auch nicht in den Vordergrund stellen. Wichtig ist, was derjenige möchte, der da begleitet wird.


Autor: Bei Maria kam es am Ende doch anders:


O-Ton 09 Clahsen: Ich hatte das Gefühl, dass sie sich nicht entscheiden konnte. Also sie war hin und hergerissen. Also da kriege ich jetzt auch wieder die Gänsehaut, wenn ich drüber nachdenke. Sie war nicht in der Lage zu sagen: Ja, ich fahr dahin.


Autor: Im Hospiz bietet man ihr einen anderen Notausgang an: die palliative Sedierung. Dann würde sie in einen tiefen Schlaf gelegt und müsste zum Schluss, in den letzten Tagen, nicht mehr leiden oder kämpfen.


O-Ton 10 Clahsen: Aber es ist dann auch dann nicht so gekommen. Sie ist also nicht sediert worden, also auch nicht in der Prophylaxe. Aber ich hab auch das Gefühl, dass sie das so einfach also den Weg zu Ende gehen wollte. So schlimm er auch war.


Autor: „O Welt, ich muss dich lassen“ – ein Abschiedslied, ein Glaubenslied. Der es gedichtet hat im 16. Jahrhundert, konnte ganz auf Gott vertrauen. Karin Clahsen erinnert sich noch genau an diesen einen Tag im August:


O-Ton 11 Clahsen: Ich weiß nicht, welcher Tag es genau war. Da war eine Wallfahrt. Und dann hab ich zu Maria gesagt: Also morgen gehe ich auf Wallfahrt mit dem Fahrrad und mache dann an dem Wallfahrtsort ein Kerze für dich an und werde für dich beten. Und sie hat gesagt: Ja, nimm mich doch huckepack mit auf dein Fahrrad. Ich sage, das mache ich. Ich nehme dich mit und ich bete für dich. Und ja. Und an dem Tag, wo ich mit dem Rad auf Wallfahrt war, ist Maria gestorben. Ja. Genau das. Es hat so sollen sein. Ja, also sie war ja dann auch erlöst.


Musik (Choral, Strophe 7)


Drauf will ich fröhlich sterben, das Himmelreich ererben, wie er mir's hat bereit't.
Hier mag ich nicht mehr bleiben, der Tod thut mich vertreiben, mein Seel sich vom Leibe scheid't.



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