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Kirche in WDR 3 | 26.06.2024 | 07:50 Uhr
Junge Soldaten
Guten Morgen.
„Ich treffe Heiner auf dem Stadtfest. Er trägt seine Reservisten-Uniform. Beim zweiten Bier erzählt er mir seinen schönsten Moment. „Der schönste Tag, so einer mit Goldrand“, er räuspert sich und streift mit der Hand unbewusst über die mit Orden dekorierte Brust.
Ja, an einen solchen Tag erinnert er sich. Im so genannten Kalten Krieg, im Ost-West-Konflikt nach dem 2. Weltkrieg.
Er erinnert sich ganz genau.
Es ist früh.
Er ist mit dem Zug zur Kaserne gefahren.
Noch im Dunkeln.
Im Halbschlaf hört er die Eisenräder auf den Schienen rattern,
das Gemurmel der anderen Fahrgäste.
Die Hände spielen mit dem Stück Papier.
„Einberufung“, steht da in nüchternen Lettern oben drauf.
Und dann ein Text mit vielen amtlichen Formulierungen und Paragraphen.
Ein Datum.
Ein Ort.
Er hat nicht lange überlegen müssen, ob er der Einberufung nachkommen würde.
„Der Russe“ ist damals weit im Osten, aber das Land und die Demokratie mussten wehrhaft sein.
Außerdem wäre wohl kaum einer so blöd, jetzt schon wieder einen Krieg anzuzetteln.
Also sitzt er im Zug.
Zwischen das Rattern im Halbdunkeln mischen sich ungute Gedanken.
Solche, wie sie junge Männer haben.
Was, wenn er keinen kennt. Wenn die anderen auf seiner Stube alle viel besser, klüger, schneller sind als er?
Wie wird es werden: allein unter Fremden.
Nie würde er es zugegeben, aber hier im Zug erlaubt er sich, Schiss zu haben.
Schließlich kommt er an.
Mit Sack und Pack und Bauchgrimmen.
Aus dem Halbdunkel ist ein Morgengrauen geworden.
Und schließlich zeigt sich die Sonne am Horizont.
Sie leuchtet golden über den Kasernenplatz.
Die Schatten werden kürzer.
Auf einmal erkennt er den Mann vor sich. Er ist mit ihm letztes Jahr noch zu einer Jugendfreizeit der evangelischen Kirche gewesen.
Da waren sie noch Jungen gewesen.
Er spricht ihn an.
Der andere schaut ihn an,
verwundert erst, doch dann erkennt er ihn.
Und dann merken sie: Es sind noch mehr. Andere, die sie kennen.
Das Gefühl im Bauch verändert sich. Wird leicht. Wie ein Lachen.
Die beiden werden Kameraden.
Der eine kann gut Betten beziehen, der andere hat den Kniff beim Stiefelputzen raus. Das Essen aus den Paketen von Zuhause wird geteilt.
Kameradschaft, die hilft.
Mitten im so genannten Kalten Krieg.
„Tja. Damals. Der Russe. So schlimm war das gar nicht“, sagt er und räuspert sich noch mal.
Er blickt auf seine Hände, die eben noch über die Abzeichen und Orden gestrichen haben.
Dann wird seine Kasernen-Stimme leiser.
Der Jung.
Sein Junge. Der war als Soldat letztes Jahr in Mali gewesen.
Zuerst war er noch stolz auf seinen Sohn gewesen.
Dass er dort in einem echten Einsatz war.
Manchmal hatte der Junge Bilder vom Sonnenaufgang über WhatsApp geschickt. Weil er wusste, dass sein Vater diese Zeit am Tag liebt.
Über Euronews kamen andere Nachrichten und andere Bilder.
„Da habe ich wirklich Angst gehabt.“ Diesen Satz kriegt er schwer über die Lippen.
Er atmet heftig aus.
Und erzählt von einem Tag im Dezember.
Es ist kalt auf dem Fliegerhorst in Wunstorf.
Er ist extra nach Niedersachsen gefahren
Sonne oder nicht, daran erinnert er sich nicht.
Nur an die vielen Uniformen und Abzeichen. Die kennt er noch aus seiner eigenen Zeit.
Wie es gewesen ist, als er unter all den Uniformen seinen Jungen erkennt, daran erinnert er sich genau.
An das Gefühl im Bauch.
Die Erleichterung, das Glück, dass sein Sohn überlebt hat.
„Tja“, sagt er dann noch. „Das ist Krieg.“
Prostet mir noch einmal zu und trinkt den letzten Schluck.
Es grüßt Sie, Pfarrerin Anneke Ihlenfeldt aus Gummersbach.
Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze