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Kirche in WDR 3 | 29.06.2024 | 07:50 Uhr
Goldrandgeschirr
Guten Morgen.
Omma hatte so Geschirr: elfenbeinfarben. Edel. Mit Goldrand. Nur für gut.
„Gut“, das hieß Familienfest: Taufe, Hochzeit, achtzigster Geburtstag.
Dann kamen Familie und Nachbarn, und sie deckte die lange Tafel für das Festessen.
Goldrandteller, feine Tischdecke, große Schüsseln.
Darin:
Braten, Kartoffeln und braune Soße.
Hinterher Eis oder Torte.
Für die Erwachsenen gab es Likör.
Nach und nach versammelten sich alle um den langen Tisch in der guten Stube.
Es wurde gegrüßt und schonmal die Plätze verteilt.
Einige mussten auf dem Sofa sitzen und schauten gerade so über den Goldrand der Teller.
Irgendwann kam Omma mit hochrotem Kopf aus der Küche und brachte den Braten.
Den hatte der Onkel schneiden müssen. Der konnte das am besten.
Dann wurde es andächtig still.
Der Duft stieg allen in die Nase und das Wasser lief uns im Mund zusammen.
Opa saß vor Kopf sagte in die Stille: „Komm Herr Jesus, sei Du unser Gast und segne, was Du uns bescheret hast.“ Und dann wurde geschlemmt, gelacht und geschnackt.
Bis alle rund und zufrieden auf den Stühlen oder auf dem Sofa hingen.
Hinterher wurde in Ommas kleinen Küche das Geschirr von Hand gespült.
Und nochmal ordentlich getratscht.
Über die Nichte vielleicht, die nun schon den dritten Freund hatte.
Oder den Nachbarn, der sich beim Hausbau verspekuliert hat.
Naja, ihr kennt solche Geschichten.
Das waren „Tage mit Goldrand“ für die Kinder.
Omma ist schon lange nicht mehr.
Und inzwischen feiern wir auch anders: Wir gehen zum Brunchen ins Restaurant oder feiern am Grill mit Papptellern.
Dann ist das mit dem Abwasch auch nicht mehr so viel Arbeit.
Und das ist schön.
Das gute Geschirr von Omma verstaubt in den Schränken. Oder in den Second-Hand-Läden der Diakonie.
Neben anderen Omma-Geschirren. Alle mit Goldrand.
Nix für den Geschirrspüler.
Unpraktisch, leider.
Uns tut das Geschirr leid.
Und es tut uns auch leid, um diese Art zu feiern.
Deswegen haben wir Goldrand- Geschirr aus den Caritas- und Diakonie-Läden abgeholt.
Wir haben es mitgenommen auf das Stadtgeburtstag-Fest in Bergneustadt.
Die Besucher*innen haben wir gebeten, uns von schönen Tagen zu erzählen. Und ihn mit einem Satz zusammenzufassen. Den Satz haben sie dann mit einem Porzellanschreiber auf einen Teller geschrieben. Einen Tag mit Goldrand aus ihrem Leben.
Jeden Morgen, an dem ein anderer den Kaffee macht. Oder:
Der schöne Tag der Einberufung.
Der erste Kuss und Hochzeitstage stehen jetzt auf dem guten Geschirr.
Einer hat geschrieben: „60 Jahre Liebe – immer neu“. Als seine Frau das gelesen hat, liefen die Tränen.
Auch bei mir.
Und was passiert mit den Tellern?
Im August machen wir eine lange Tafel. Auf der Straße am Hackenberg.
Und dann decken wir wie Omma das getan hat: mit schönen Tischdecken und den Tellern, auf denen andere die Tage mit Goldrand geschrieben haben.
Es gibt Essen.
Vielleicht auch Braten. Der ist dann eher halal.
Torte oder Eis geht immer.
Zum Schluss bekommt alle ihre Teller geschenkt.
Denn einen einzigen solchen Teller, den kann man ja mit der Hand waschen, oder?
Alle Nachbarn sind eingeladen.
Vielleicht ist auch der Herr Jesus dann unser Gast. Wer weiß.
Eingeladen haben wir ihn.
Es grüßt Sie, Pfarrerin Anneke Ihlenfeldt aus Gummersbach.
Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze