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Kirche in WDR 3 | 24.07.2024 | 07:50 Uhr
Unterm Strich
Guten Morgen.
Ich habe einen Schatz gefunden. Hier zu Hause. Er war schon länger da, aber jetzt erst habe ich ihn, sozusagen, schätzen gelernt! Das gute Stück ist neunzig Jahre plus ein paar Tage alt. Ein Erbstück, das auch ein Stück Hoffnung ist. Vorne ist mein Schatz schlicht, aber schön verziert und vergoldet mit den Worten „Die Heilige Schrift“. Das gute Buch ist schwer, so schwer wie die Familiengeschichte dahinter wohl auch.
Öffnet man die Kostbarkeit, entdeckt man zwei Namen und ein Datum: Karl und Mechthild Depuhl, 9. Mai 1934. Vor neunzig Jahren war der Schatz ein Geschenk zum Fest der jungen Liebe. Zum Hochzeitstag in einem Dorf am Niederrhein. 1934. Das Datum klingt mir geschichtsträchtig in den Ohren. Die Nationalsozialisten hatten ein Jahr zuvor die Macht im Land ergriffen, und sie krempelten die Demokratie langsam, aber sicher um. Landesparlamente wurden zugemacht und neue Gesetze zum „Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ oder zur „Verhütung erbkranken Nachwuchses“ wurden aufgemacht. Sie würden das Todesurteil für Millionen von Menschen werden, deren Leben, als unwert gebrandmarkt wurde.
Das Zeugnis aus dieser Zeit, mein Schatz, ist die alte Hochzeitsbibel meiner Großeltern. Allen Wirren der Zeit zum Trotz, halte ich dieses Wunder in meinen Händen. Die Welt brannte, Duisburg, wo sie gelebt hatten, war zehn Jahre später ein Trümmerhaufen. Aber das Goldstück, mit den deutlichen Gebrauchsspuren, hat es überstanden.
Ich muss mich konzentrieren, um die alte deutsche Schrift zu lesen. Meine Augen bleiben hängen an den Bildern, die in das Buch eingestreut sind – und an einigen Versen, die meine Großeltern hervorgehoben haben. Das Buch war ihnen Alltagsbegleiter in einem Alltag, den wir uns nicht mal mehr annähernd ausmalen können. Die Großeltern gestatteten diesen alten Versen aus der Bibel in ihr Leben zu sprechen. Ich bleibe hängen an einem blauen Strich unter acht Worten. Zu finden in der Apostelgeschichte. Die unterstrichenen Worte stammen von Petrus, der sich verantworten muss für sein mutiges Bekenntnis zu Jesus. Und er sagt: „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.“ (Die Bibel, Apostelgeschichte 5,29)
Acht Worte unterm Strich. Meine Gedanken, gehen zurück an Karl und Mechthild, die damals deutlich jünger waren, als ich es heute bin. Und ich denke, sie konnten den Verführungen der Zeit widerstehen, weil sie anders verankert waren. Weil ihr Horizont der Himmel war, kam für sie das Heil von Hitler nicht in Frage. Gottes Wort bedeutete für sie mehr als das Großgekotze der Zeiten von damals.
Und gleichzeitig, lese ich den Vers jetzt. Neunzig Jahre später als meine Großeltern. 2000 Jahre, nachdem Petrus die Worte sprach: „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.“ Und er erinnert mich an die Menschen, die so wagemutig waren, den Mächten und Meinungen der Zeit zu trotzen, und auf das Ewige zu horchen, dem Ewigen zu gehorchen. Die nicht akzeptiert haben, dass das Leben von viel zu vielen als „unwert“ abgewertet wurde. Die früh gespürt haben, dass Heil versprochen, aber Hölle geliefert wurde.
Für mich ist das eine tröstende Orientierung über meinen Alltag
hinaus und ein Wink aus dem Ewigen, sehr genau zu überlegen, wem ich mein
Vertrauen schenke in diesem Leben.
Und so bete ich um Weitsicht und um
Großherzigkeit.
Einen schönen Tag wünsche ich Ihnen heute, in dem eine Stimme über uns hinaus hörbar wird.
Ihr Patrick Depuhl aus Alpen.
Quellen: Apostelgeschichte 5,29. Luther Übersetzung
Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze