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Kirche in WDR 3 | 05.08.2024 | 07:50 Uhr
Abgehängt
Guten Morgen.
Ich habe eigentlich nicht das Gefühl abgehängt zu sein. Aber ich kenne Menschen, die dieses Gefühl ihr Leben lang begleitet.
Vor ein paar Wochen habe ich es auch erlebt. Und zwar im wörtlichen Sinne, mit der Deutschen Bahn auf dem Weg nach Leipzig.
Von Anfang an gab es Probleme mit der Lok. Mehrfach muss der Zug ungeplant halten, bis wir im niedersächsischen Nirgendwo zum Stehen kommen. Nichts geht mehr.
Rechts und links fahren andere Züge an uns vorbei. Dann hält der nachfolgende Zug neben uns und eine Ansage macht Hoffnung, dass wir in diesen Zug wechseln können - auf offener Strecke. Doch der andere Zug fährt weiter, und wir stehen immer noch. Der Zugbegleiter hat es nicht leicht, zumal er uns auch noch informieren muss, dass das Licht und die Klimaanlage abgestellt werden, auf dass die Lok es vielleicht doch noch zum nächsten Bahnhof schafft. Der Zug bewegt sich auch, aber nur ein paar Meter. Dann ist endgültig Schluss.
Abgehängt! Das weitere Leben verschiebt sich auf unbestimmte Zeit.
Wir sitzen für Stunden in einem Zug fest und können nichts tun. Es mag am guten Wetter liegen oder am Feiertag – dem 1. Mai -, dass die Stimmung im Zug nicht kippt. Auf jeden Fall liegt es auch an unserem Zugbegleiter. Er vermittelt den Eindruck, dass er wirklich alles tut, damit die Verantwortlichen bei der Bahn uns möglichst bald aus der Nummer rausholen. Da ist einer, der uns nicht mit Floskeln abspeist, sondern mit Wasser versorgt, und später sogar mit Bier, soweit der Vorrat reicht. Selbst als er die immergleichen Ansagen wiederholen muss, verliert er nicht den Humor.
Abgehängt. Einige verpassen wichtige Termine. Manche haben sowieso das Gefühl, dass andere immer besser dran sind und schneller ankommen. Und dass sie nichts dagegen tun können. Aber das stimmt nicht ganz. Ich kann was tun, selbst wenn ich die Situation nicht ändern kann. Ich kann mich in genau dieser Situation annehmen, auch wenn es mal nicht so läuft wie gedacht. Irgendwann kommt dann doch noch eine andere Lok und zieht unseren Zug zum nächsten Haltepunkt: Woltwiesche. Den Namen habe ich mir gemerkt, und den Schriftzug an diesem Haltepunkt: „Wenn Sie mal zur Ruhe kommen möchten, haben Sie ihr Ziel erreicht: Willkommen in Woltwiesche“.
Ich wollte nicht zu Ruhe kommen. Ich war schlicht abgehängt. Diverse Züge, das heißt das Leben der anderen ging an mir vorbei. Und mein Ziel habe ich erst fünf Stunden später erreicht. Eigentlich ein Grund sauer zu sein.
Aber ich fühlte mich nicht abgehängt. Es ging mir gut. Ich habe rücksichtsvolle Mitreisende erlebt und einen Zugbegleiter, der sich um uns „Abgehängte“ gekümmert hat.
Ich glaube, dass es viele freundliche Lebensbegleiter gibt. Vielleicht nehme ich sie im Alltag manchmal gar nicht wahr, oder ich nehme sie für selbstverständlich hin. Menschen, die sich kümmern und anderen beistehen. Menschen, die „bei denen da oben“ ein Wort für mich einlegen. Oder Menschen, die „ganz oben“, bei Gott, ein Wort für mich einlegen und für mich beten. Menschen, denen ich nicht gleichgültig bin.
Sie alle sorgen dafür, dass ich mich nicht abgehängt fühlen muss, sondern in meiner aktuellen Lebenssituation gut aufgehoben bin-in Gott.
(Ende WDR 4 und Verabschiedung WDR 3 und WDR 5)
Kommen Sie gut an,
Ihr Heinz-Bernd Meurer aus Velbert.
Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze