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Kirche in WDR 3 | 10.09.2024 | 07:50 Uhr
Sprich, damit ich dich sehe
Im Sommer war ich im Süden der Niederlande im Urlaub.
Meist war ich mit dem Fahrrad unterwegs und
habe die Umgebung erkundet. Aber diese eine Bank unter einem Baum hatte es mir
besonders angetan. Da bin ich öfter hin.
Ein schönes Fleckchen, eine wunderbare Aussicht, Schatten. Schon beim ersten Mal fällt mir auf der Bank eine Plakette auf mit dem Text: „Ein gutes Gespräch beginnt damit, dass man jemanden wirklich sieht.“
„Wie schön“, denke ich, „eine Bank, die einlädt, zur Ruhe zu kommen, Zeit zu haben, Menschen wirklich wahrzunehmen und mit ihnen ins Gespräch zu kommen.“
Neben dem Text ist ein QR-Code angebracht. Ein paar Bank-Besuche später scanne ich ihn mit meinem Handy – und lande auf der Seite für Suizid-Prävention.
Ich schlucke etwas. Jetzt bekommt der Satz auf der idyllischen Bank einen neuen Klang, eine ganz neue Dringlichkeit: „Ein gutes Gespräch beginnt damit, dass man jemanden wirklich sieht.“
Ich habe ein wenig gelesen auf der niederländischen Seite für Suizid-Prävention. Super gemacht, sehr einfach, irgendwie locker, ermutigend für alle, die mit diesem Thema in Kontakt kommen. Denn wie auch immer: Es ist ein schweres Thema für Betroffene, aber auch für Familien, Freunde, Helfende.
Auf der Homepage finde ich auch ein Online-Seminar für
Menschen, die wollen, dass sie im Ernstfall besser helfen können.
Angebote für Suizidgefährdete selbst.
Tagungen, Berichte.
Und seit zwei Jahren gibt es eben diese Plaketten-Aktion auf Bänken. 1000 stehen bereits im ganzen Land. Was für eine tolle Idee!
Zurück in Deutschland habe ich mir einschlägige deutsche Seiten angesehen. Es gibt mehr als ich dachte.
Warum ich Sie so früh am Morgen damit belaste? Der 10. September ist von der Weltgesundheitsorganisation zum Tag der Suizid-Prävention erklärt worden.
Das Thema ist so wichtig. Und es geistern so viele Irrtümer in den Köpfen herum. Vor allem der, dass es gefährlich sei, mit Betroffenen darüber zu sprechen. Im Gegenteil. Miteinander sprechen, einander wirklich sehen, und so einen Unterschied machen. Das gilt bei der Suizidprävention besonders, weil es um Leben und Tod geht.
Aber auch sonst: Wer wünschte sich nicht, gesehen, wahrgenommen zu werden? Wer wollte nicht gehört und verstanden werden?
Wie viel das bedeutet: Den anderen wirklich sehen. Die andere wirklich hören. Und nicht zuletzt: auch wirklich sprechen.
„Sprich, damit ich dich sehe“, sagt man in China. Einander sehen, hören, wahrnehmen, Leben teilen. Das ist eine zutiefst spirituelle Haltung. Mir hilft dabei, neben allem menschlichen, das ich lebensnotwendig brauche, dass ich mich auch von Gott gesehen fühle. Dass ich vertraue, dass er mich hört. Dass ich ihm nicht egal bin.
Du bist mir nicht egal. Ich sehe dich. Wir können reden. Das hilft, wenn wir es von Gott erfahren und von Menschen. Ich wünsche Ihnen heute und an all den anderen Tagen, dass Sie gesehen werden, wirklich, liebevoll.
Und vielleicht mögen Sie ja, wie es die deutsche Suizid-Prävention vorschlägt, heute Abend um 20 Uhr eine Kerze ins Fenster stellen.
Aus eigener Betroffenheit oder als Zeichen der Solidarität. Wer weiß, wer sich dadurch gesehen fühlt! Ihre Schwester Katharina Kluitmann aus Münster