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Kirche in WDR 3 | 13.08.2024 | 07:50 Uhr

Mauern überwinden

Wer von Ihnen hatte zuhause noch ein Röhrenradio? Oder kennt das Moped, das auf den Namen ‚Kreidler Florett‘ hört? Beides gibt’s zu sehen im Haus der Geschichte in Bonn. Da war ich neulich. Vielleicht waren Sie auch schon mal da. Da können Sie ja die Geschichte Deutschlands von 1945 bis in die Gegenwart sehen. Und das Museum veranschaulicht die Geschichte unter anderem durch Alltagsgegenstände. Manches aus meiner Kindheit und Jugend habe ich da wiedererkannt: eben ein solches Röhrenradio. Ich war voll drin in meinen frühen Lebensjahren, oft lächelte ich belustigt vor den Vitrinen.

Gar nicht lustig aber fand ich – und deshalb erzähle ich das – den Teil der Ausstellung über die Geschichte der DDR. Nachhaltig beeindruckt haben mich besonders Fotos und Berichte vom Bau der Berliner Mauer. Heute vor 63 Jahren nämlich hatte das DDR-Regime den Ostteil Berlins abgeriegelt in einer Nacht- und Nebelaktion. Plötzlich war da diese Mauer.

Auf den Fotos konnte ich sie noch mal sehen: dick und hoch, unüberwindbar, Stacheldraht oben drauf. Die Häuser, die an der damaligen Sektorengrenze standen, wurden umfunktioniert zur Grenzbefestigung. Fenster und Türen wurden zugemauert, die Bewohner evakuiert. Die Fotos der Grenzbefestigung waren das eine, das andere waren die Fotos der betroffenen Menschen: eine junge Frau, die mit einem Kind auf dem Arm entsetzt zuguckt, wie an der Mauer gebaut wird; eine Gruppe von Menschen, die verzweifelt versuchen, über diesen provisorischen Stacheldraht in den Westen zu fliehen; und natürlich das berühmte Bild von der Flucht des Grenzpolizisten Conrad Schuman: Der springt in Uniform, mit Stahlhelm und seinem Gewehr bewaffnet, über Stacheldraht in die Freiheit.

Wenn ich an die Mauer-Bilder zurückdenke, macht mir das, ehrlich gesagt, riesige Sorgen. Weil dieses Mauer-bauen, das Abschotten hochaktuell ist. Gerade werden wieder ziemlich viele Mauern gebaut, bisher noch nicht aus Stein und Stacheldraht, aber in den Köpfen. In immer mehr Ländern bekommen rechtsextremistische Parteien und Gruppierungen Zulauf, auch bei uns in Deutschland. Warum? Ich glaube, der Grund ist derselbe wie vor 63 Jahren: Angst. Die DDR-Regierung hatte Angst vor der westlichen Welt. Freie Menschen würden die Freiheit wählen, also musste dieser „antifaschistische Schutzwall“ her, wie das DDR-Regime seine Mauer getauft hatte.

Und heute? Da haben viele auch Angst und fühlen sich bedroht. Von zu vielen Flüchtlingen, weil die erstmal fremd sind und uns etwas kosten. Bedroht davon, etwas zu verlieren, was bisher selbstverständlich war: der gewohnte Lebensstandard, ausreichender Wohnraum, sichere Altersrente und noch mehr. Und dann sind da noch die Dinge, die nicht zählbar sind wie die Rentenhöhe: das geordnete Weltbild, die bewährten Überzeugungen – zu Fragen, wie viele Geschlechter es gibt, oder ob Frieden Schaffen nur ohne Waffen geht. Um mal zwei Überzeugungen zu nennen, die beide aufweichen. Die nicht mehr sicher sind. Angst machen. Rechtsextremisten machen sich diese Angst zunutze. Sie behaupten, mit Mauern und Zäunen könne man sich vor den Bedrohungen schützen.

Auch ich sehe, wie diffus die Zeiten sind. Auch ich fühle mich manchmal bedroht davon, dass anscheinend nichts mehr sicher ist. Und ich würde mich gerne schützen vor all diesen Risiken und Unsicherheiten. Ich weiß aber, dass das letztlich nicht möglich ist. Schon gar nicht dadurch, dass ich mich einmauere, um alles Bedrohliche fernzuhalten. Sei es im direkten Sinn oder im Kopf. Das hat schon in der DDR nicht funktioniert. Wir können Herausforderungen nur gemeinsam bewältigen, mit allen Menschen, die es gut meinen.

Mir hilft es ungemein, dass ich durch meinen Glauben Texte und Erfahrungen kenne, die z.T. schon weit zurückliegen. Und ich sehe: Ich bin mit meinen Ängsten nicht der erste. Wenn ich in die Bibel schaue, in das Buch der Psalmen, dann finde ich dort zahlreiche Beispiele dafür, dass das Leben von einzelnen, von Gruppen oder sogar ganzen Völkern bedroht wurde. Durch Feinde, die angreifen und Krieg führen. Meist geht es so aus, dass die Menschen krisenfester sind, die sich nicht an Mauern festmachen, sondern die auf Gott vertrauen. Und so hilft mir zum Beispiel der Psalm 18, ein wenig gelassener mit den Bedrohungen der Gegenwart umzugehen. Dort schreibt der Beter: „mit meinem Gott überspringe ich Mauern.“[1] Ich wende das mal auf die Gegenwart an: Wenn ich Gott auf meiner Seite weiß, dann kann ich Mauern überspringen, und zwar die Mauern in meinem Kopf. Dieses Vertrauen nimmt mir längst nicht alle Sorgen und Ängste. Aber ich gehe ein bisschen gelassener damit um.

Einen schönen Tag wünscht Ihnen Pastoralreferent Martin Dautzenberg aus Hattingen.

[1] Ps 18,30

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