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Kirche in WDR 3 | 14.08.2024 | 07:50 Uhr

Ein Tag mit mir

Zum Endspurt der Sommerferien nehme ich Sie heute einmal mit auf die Insel Juist. Denn da war ich im April und hatte einen Wüstentag organisiert mit einer ziemlich spannenden Gruppe: Es waren nämlich 20 Polizistinnen und Polizisten.

Als Polizeiseelsorger gestalte ich mit einer Kollegin immer wieder mal eine „spirituelle Auszeit“. Dort auf der Insel Juist haben wir diesen Wüstentag angeboten. Weil ich weiß, dass so ein Tag allen gut tut.

Wir haben diesen Tag im Programm „Ein Tag mit mir“ genannt. In der morgendlichen Runde hatte ich angekündigt: „So, heute schicken wir euch den ganzen Tag in die Einsamkeit. Und bitte: Handy ausgeschaltet lassen! Und nicht zum Shoppen verabreden!“ Da war erstmal Schweigen im Saale. In den Gesichtern: Erstaunen, Fragezeichen, Zweifel, Ärger und auch ein bisschen Angst. „Sich einen Tag lang mit sich selbst beschäftigen, wie soll das denn bitte gehen? Das schaff‘ ich nicht!“ Das dachten viele, und einige trauten sich auch, das auszusprechen. Viele Bedenken konnten wir zerstreuen. Und vor allem bekamen die Teilnehmenden ein Heft in die Hand, mit Anregungen und Impulsen zur Gestaltung des Tages. Das war überschrieben mit „Gezeiten des Lebens“, passend zur Insel, zum Meer. Unsere Idee war, dass die Teilnehmenden ihr Leben reflektieren, mit Hilfe des Bildes von den Gezeiten.

Die Wegweisung in dem Heft führte die Teilnehmenden zum Strand, aber auf Umwegen und mit ungewöhnlichen Anweisungen. Eine davon war Folgende:

„Bücke dich, als wolltest du dir die Schnürsenkel binden. Betrachte den Boden um dich herum. Lege vielleicht deine flache Hand für ein paar Sekunden darauf. Fühle Asphalt, Stein, Sand, Nässe… Erde dich hier einen Moment. Schau dann in den Himmel. Nimm Verbindung auf.“

Manche Insel-Besucher werden sich bestimmt gewundert haben, über die Menschen, die da diese Verrenkung am Strand gemacht hatten. Der Sinn: die Erde spüren, das, was trägt, und gleichzeitig Verbindung mit dem Himmel aufnehmen.

Bei einer anderen Übung ging es ums Wahrnehmen: An manchen Stränden liegt angespülter Tang, der oftmals stinkt. Der stört zwar die Idylle, hat aber durchaus einen Sinn: Der vom Wind aufgewirbelte Sand bleibt nämlich darin hängen; so weht der Wind den Sand nicht weg, der Strand bleibt stabil. Der Tang dient sozusagen als Klebstoff, hält den Strand zusammen. Das haben wir als Vergleich genommen und in dem Heft gefragt: „Welcher Lebensklebstoff ist dir angespült, zugetragen worden? Was hält dich eigentlich zusammen? Was hält dich am Leben? Für welche Werte stehst du ein?“ Das war ordentlich Stoff zum Nachdenken.

Weiter ging es zu der Frage „Wer hat – im positiven Sinn - dazu beigetragen, dass du so werden konntest, wie du bist? Und wem kannst du dankbar sein?“ Damit die Dankbarkeit konkret wurde, hatten wir jedem Heft einen Briefumschlag mit einer Danke-Karte beigelegt. So hatte jede und jeder die Möglichkeit, für eine Person aus dem Bekanntenkreis den persönlichen Dank aufzuschreiben. Und den Umschlag hinterher in den Briefkasten zu werfen.

Und dann war ich am Ende des Tages sehr gespannt auf die Austauschrunde. Nach dem Abendessen habe ich mit den Polizistinnen und Polizisten auf ihren Wüstentag zurückgeblickt. Und, was soll ich sagen, die Gruppe war begeistert! Nichts mehr von Skepsis oder Ängstlichkeit. Nicht alle, aber viele erzählten von ihren Erlebnissen. Dass es sich gelohnt hat, das Abenteuer Alleinsein auf sich zu nehmen. „Das habe ich zum ersten Mal gemacht“, so ein O-Ton. Oder „Ich hab ´ne Menge über mich erfahren.“ Oder „Die Dankekarte war überfällig!“

Eine Teilnehmerin erzählte mir hinterher, unter vier Augen:

„Ich hab den Tag genutzt, um dem da oben noch ne Chance zu geben. Eigentlich hat er verspielt bei mir, nachdem mein Neffe gestorben ist. Ich hatte große Angst vor diesem Tag, vor dem allein sein. Mach irgendwas, hab ich gesagt, sonst sind wir geschiedene Leute. Wahrscheinlich hat er was gemacht. Jedenfalls hab ich auf dem Rückweg eine Kerze angesteckt in der Kirche.“

Die Sommerferien enden. Und vielleicht fahren Sie dieses Jahr nicht mehr ans Meer. Aber ich lade Sie ein, auch einmal das Abenteuer zu wagen, eine Zeit lang in die Einsamkeit zu gehen und über die Fragen vom Klebstoff des Lebens nachzudenken. Und schreiben jemandem eine Dankekarte, die schon lange fällig ist. Dazu müssen Sie nicht bei der Polizei arbeiten, oder auf Juist sein.

Grüße aus Hattingen gibt Ihnen mit auf den Weg Pastoralreferent Martin Dautzenberg.

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