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Kirche in WDR 3 | 31.08.2024 | 07:50 Uhr
Mehr als Dinkel: Hildegard
Mehr als Dinkel: Hildegard
Am 17. September ist Hildegard-Tag. Vor 845 Jahren starb da die große Hildegard von Bingen. Falls Sie Zeit haben sollten und eine Reise zu ihr planen, hier der erste Tipp: Wählen Sie das richtige Rheinufer. Hildegard heißt zwar „von Bingen“. Aber die eigentlichen Feierlichkeiten finden in Eibingen statt. Das ist der Ort oberhalb von Rüdesheim. Also: andere Rheinseite. Dort liegt sie auch begraben in der Pfarrkirche. Oberhalb davon liegt das Frauenkloster, das sich heute auf die Heilige beruft und in dem Hildegards Leben an den Wänden der stattlichen Klosterkirche dargestellt ist. Im dortigen Klosterladen finden Sie wahrlich fast alles, was heute unter dem Lable Hildegard verkauft wird.
Hildegard ist nämlich nicht nur eine Heilige, sondern auch ein kleiner Wirtschaftsfaktor. Es gibt eine ganze Hildegard-Szene, bei der es eher um Naturheilkunde geht als ums Heilige. Ich sage nur: Dinkel. Keine Ahnung, warum alle möglichen Dinkel-Produkte in Reformläden den Namen Hildegard tragen. Sie erwähnt Dinkel in ihrem gesamten Werk weniger oft, als ich Finger an meiner Hand habe.
Immerhin: Das Dinkelbrot in der Abtei St. Hildegard schmeckt vorzüglich. Letztes Jahr war ich das erste Mal zum Hildegardfest in Eibingen und da gabs Dinkelsuppe mit Dinkelbrot: lecker-schmecker! Aber: Hildegard war mehr als Dinkel und heilende Salben. Auch beim Hildegardfest gab es noch viel mehr zu entdecken: In der Vesper unter freiem Himmel z.B. sang eine Künstlerin mit ihrer Harfe die wunderbar sphärischen Gesänge der Hildegard. Denn komponiert hatte die Kirchenlehrerin auch.
Vor 12 Jahren erst wurde sie von Papst Benedikt in diesen besonderen Rang gehoben: Kirchenlehrerin. Den teilt sie mit 37 anderen katholischen Heiligen, darunter lediglich vier Frauen. Sie gilt als heilkundige Universalgelehrte ihrer Zeit, stand bis zu ihrem Tod am 17.9.1179 in Kontakt mit allem, was in Kirche um im deutschen Reich Rang und Namen hatte. „Hildegard ist das Musterbeispiel einer selbstbewussten Führungsfrau im Mittelalter“, sagt mir meiner Frau, die für den Hildegardis-Verein das Mentoring-Programm der Bischofskonferenz für Frauen in Führungspositionen der katholischen Kirche leitet. Meine Frau Stephie ist eine Hildegard-Kennerin. Und sie möchte nicht, dass ich die geniale Nonne hier Mystikerin nenne. Auch wenn Wikipedia mir das so vorschlägt. „Hildegard hätte das abgelehnt“, sagt Stephie. Klar: Sie habe Visionen gehabt. Aber ihr sei stets wichtig gewesen, dass diese Schauungen eine Wissenschaft seien. „Aus Hildegards Sicht hat ihr Verstand dabei nie ausgesetzt“, sagt meine Frau. Der glaube ich.
Wie auch immer: Aus diesen Schauungen, gepaart mit einer großen Lebensklugheit und Belesenheit schaffte Hildegard dann Weisheitssprüche, die sie zur Kirchenlehrerin werden ließen. „Du hast in dir den Himmel und die Erde“ ist so ein Spruch. Natürlich klingt der erstmal so, dass er sich auch gut auf einer Tasse in Klosterladen verkaufen kann. Aber wer ihn ernst nimmt, der entdeckt darin eine unglaubliche Weite. Die geht auch weit über das Katholische hinaus – weit über das Rheintal bei Bingen, wo Hildegard das vor 850 Jahren geschrieben hat.
Noch ein Spruch von ihr ist weit bekannt: „Es gibt eine Kraft aus der Ewigkeit und diese Kraft ist grün“. Diese „Grünkraft“ verbindet uns Menschen mit der Natur. Daher erklärt sich vielleicht auch die Verbindung von Hildegard, Dinkel und der ganzen Reform-Haus-Szene.
In jedem Fall erklärt sich das Phänomen Hildegard in ihrer Zeit nicht ohne ihre selbstbewusste Wahl für das Klosterleben. Für jenen Lungenflügel der Kirche, aus der wir Katholikinnen und Katholiken noch immer erfrischt werden mit guter Luft.
Falls Sie die Neugierde packt: Fahren Sie einmal nach Eibingen. Noch heute leben dort Nonnen, beten und arbeiten und entwickeln aus dem Takt des Benediktinischen eine Kraft, die der Kirche gut tut.
Kommen Sie erfrischt
in dieses Wochenende, Ihr Klaus Nelißen aus Köln.
