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Kirche in WDR 3 | 20.08.2024 | 07:50 Uhr
Über Mauern springen
Guten Morgen!
Gestern hab` ich von einer meterhohen Mauer geträumt: da wollte ich unbedingt drüber. Und weil sie zu hoch war, hab` ich es quasi mit dem Kopf durch die Wand versucht! Ich habe tief Luft geholt, Anlauf genommen und in der Sekunde als der Kopf die Mauer berührt hat, bin ich mit wild klopfendem Herzen aufgewacht!
Gibt ja manchmal so Träume, die gehen einem nach…
Und er lässt mich auch an einen ganz speziellen Kindergottesdienst zurückdenken. Es ist ein Gottesdienst für die neuen Kindergarten-Kinder. Dabei sollen die neuen Kinder einen kleinen Holzsteg überqueren. Der ist etwa zwei Zentimeter hoch und einen Meter lang; symbolisch für die Brücke zu einem neuen Lebensabschnitt, dem Abenteuerland der KITA.
Die etwas älteren Kinder machen das normalerweise mit Begeisterung und auch mit etwas Stolz. Unter den aufmerksamen Augen der anderen Kinder und den manchmal sogar gerührten Augen der Eltern gehen sie allein diese Schritte auf dem Holzsteg. Kostbare Sekunden, in denen man beobachten kann, wie ein neuer Weg eingeschlagen wird.
Doch jetzt ist da ein ganz kleines Kind, Clara, die steht vor diesem nur zwei Zentimeter hohen Holzsteg. Ihr Vater, der sie gerade sanft auf den Boden gesetzt hat, wartet ab, was jetzt geschehen wird. Das kleine Mädchen starrt wie gebannt auf dieses Holzstück vor ihr. Alle anderen Kinder und Erwachsenen ebenso. Ich selbst wäre nie auf die Idee gekommen, zwei Zentimeter Holz könnten eine unüberwindliche Hürde darstellen. Aber Clara hat uns eindrucksvoll gezeigt, dass es für alles eine Grenze gibt. Für sie waren die zwei Zentimeter Holz aus dem Baumarkt eine unüberwindliche Mauer, eine Schicksalsmauer! Sie hatte noch nicht genug Selbstvertrauen, dass ein einziger beherzter Schritt, den sie einfach nur machen müsste, zum Erfolg führen wird.
Schön wäre es, wenn es Clara im Laufe der KITA-Zeit und überhaupt im späteren Leben noch oft gelingt, beherzt erste Schritte zu wagen; das spielt vor allem auch im Glauben eine große Rolle; auch der ist Vertrauenssache. Beweise, absolute Sicherheit – die gibt’s da nicht.
Ob im Alter von eineinhalb Jahren, ob mit 14, 28, 46 oder 80 Jahren, für jeden einzelnen Menschen gibt es doch immer wieder diese unüberwindlichen Holzstege oder Mauern oder wie immer Sie es nennen mögen. Einfach das Betreten von Neuland. Dann stehen wir da und haben Angst vor diesem ersten Schritt: Abschlussprüfung, Bewerbungsgespräch, Bewältigung einer Depression, Weiterleben, nachdem der geliebte Lebensmensch nicht mehr da ist; Neuanfang nach einer schweren Krankheit, die das ganze Leben verändert, aber auch ein Neuanfang in der Liebe oder wenn ein Kind geboren wird… Auch die schönen Dinge muss man sich ja erobern.
Übrigens ist Clara in diesem Gottesdienst schließlich von ihrem Vater über den Steg getragen worden.
Das erinnert mich an eine Stelle im ersten Testament der Bibel, da heißt es: Mit meinem Gott will ich über Mauern springen. Da ist es Gott, der den Menschen über die Mauern trägt. Oder mit ihm springt.
Ein starkes Bild aus alter Zeit. Nehmen Sie es doch mit in Ihren heutigen Tag!
Es grüßt Sie herzlich, Ihre Pfarrerin Nicola Thomas-Landgrebe aus Köln.
Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze