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Kirche in WDR 3 | 22.08.2024 | 07:50 Uhr
Was mit raus nehmen
Guten Morgen! Ich halte inne und zähle stumm:
Eins… Zwei…
Das sind genau zwei Sekunden kostbare Stille; Stille, das ist etwas, nach dem sich so viele Menschen sehnen.
Vielleicht gerade in diesen Sommerwochen: Ferienzeit, Reisezeit: Die einen drehen im Urlaub richtig auf, - da kann es nicht laut genug sein, die anderen suchen nach einer ruhigen Auszeit weit ab vom Lärm des Alltags, nicht nur vom Lärm, sondern überhaupt weg vom Alltag und hin zum Besonderen.
Sehr hoch im Kurs der Reisenden: Inseln der Ruhe; vor allem für die, die gerne alleine reisen, weil sie einfach die Stille suchen, mal in sich selbst hineinhören möchten, mal ihre Gedanken einfach umlenken möchten auf…. Auf was eigentlich? Vermutlich auf das, was ihr Leben trägt - abgesehen von Beruf, Familie und Pflichten. So jemanden, hab ich kürzlich zufällig kennengelernt…
Eine allein reisende Frau erzählt mir während eines Strandspaziergangs an der Nordsee: Sie geht sehr gerne und oft in die Kirche. Am liebsten alleine, auch hier auf der Insel. „Hier“, sagt sie, „komme ich wirklich zu mir selbst. Der Kirchraum hat eine wohltuende Wirkung auf mich. Aber: Ich nehm` irgendwie nix mit raus!“
Was ist das nur, frage ich mich seither, was die Frau „nicht mit rausnimmt“?
Sie möchte einerseits zu sich kommen in der Kirche und hat doch wohl auch eine Sehnsucht nach mehr. Sie will ja was mit raus nehmen, mehr als sich selbst. Vielleicht wartet sie intuitiv darauf, dass Gott zu ihr spricht…
„Sprich nur ein Wort, so wird mein Diener gesund.“ (Die Bibel, Matthäus 8.8), sagt in der Bibel jemand vertrauensvoll zu Gott.
Vielleicht sehnt sich die Frau nach so einem Wort Gottes, das heilt und tröstet. Um einfach mit Gott verbunden zu sein. Das aber kann wohl die schönste Kirche in bester Umgebung nicht garantieren.
Aber vielleicht – denke ich mir - findet sie trotzdem das, was sie sucht. Wenn es nicht im Kirchraum sein kann, dann vielleicht woanders. Nämlich da, wo Gott anfängt mit ihr zu sprechen. Und das kann überall sein. Und dieses Überall ist dann auch wieder Kirche.
Es gibt ein altes Kirchenlied aus dem 17. Jh., das von so einer Kirche der anderen Art erzählt, einer Art „Kirche der Natur“:
„Geh aus, mein Herz, und suche Freud in dieser lieben Sommerzeit an deines Gottes Gaben; schau an der schönen Gärten Zier und siehe, wie sie mir und dir sich ausgeschmücket haben…“
Dieses Lied aus der Barockzeit beschreibt das Gefühl, überall Gottes Handschrift zu entdecken: in der Natur, in seiner Schöpfung. Und mehr noch: sich selbst als einen Teil davon zu empfinden!
Denn später im Lied heißt es: „Mach in mir deinem Geiste Raum, dass ich dir werd ein guter Baum, und lass mich Wurzel treiben. Verleihe, dass zu deinem Ruhm ich deines Gartens schöne Blum und Pflanze möge bleiben…“
Wenn also ein Garten oder ein Wald eine Kirche sein kann, könnte es genauso auch eine öffentliche Sitzbank im Kölner Agnesviertel sein, ein schattiger Platz am Rheinufer oder der stille Leseraum einer Bibliothek.
Wo immer Sie auch heute unterwegs sind, ich wünsche Ihnen eine Kirche, die Ihnen entgegen kommt…
Ihre Pfarrerin Nicola Thomas-Landgrebe aus Köln.
Quelle: eg 503,1.14 Evangelisches Gesangbuch, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 1996, Text: Paul Gerhardt 1653.
Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze