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Kirche in WDR 3 | 05.11.2024 | 07:50 Uhr
Zurücktreten: eine Haltungsfrage
Good
morning, fellow Citizens: go vote! So
würde ich sie vielleicht begrüßen, wenn wir in den Vereinigten Staaten wären. Denn die
US-Wählerinnen und Wähler haben heute eine einmalige Chance:Zum
ersten Mal in der Geschichte der USA kann mit Kamala Harris eine farbige Frau
Präsidentin werden.
So sehr ich mich
über ihre Kandidatur auch hierzulande gefreut habe, so betrüblich war die
Debatte rund um das Alter des amtierenden Präsidenten Joe Biden.
Sein fortgeschrittenes Alter war schon bei der vorhergehenden Präsidentenwahl ein Thema. Verschärft hatte es sich erst nach den eklatanten Aussetzern beim ersten Fernsehduell mit Donald Trump. Der verspottete ihn umso mehr als „Sleepy Joe“.
Aus der Ferne betrachtet empfand ich die aufgeregte Debatte als unwürdig. Gott sei Dank hat Biden dann selbst ein Einsehen gehabt und hat, wie er sagt, die Fackel weitergegeben. Was für ein Dienst an der Demokratie!
Und damit besteht die historische Chance, dass zum ersten Mal eine Frau US-Präsidentin werden kann. Aber: Das Rennen wird knapp. Das liegt an dem Wahlmodus, der mit der deutschen Demokratie nicht vergleichbar ist. Ich bin fassungslos darüber, dass jemand wie Donald Trump nach wie vor für so viele überhaupt als Präsident infrage kommt.
Der amerikanische Rockstar Bruce Springsteen sagt über den Präsidentschaftskandidaten der Republikaner: „Er ist der gefährlichste Präsidentschaftskandidat, den ich je gesehen habe.“
Trump ist immerhin ein von Gerichten verurteilter Missbrauchstäter und ein verurteilter Lügner. Was aber gerade für die Demokratie brandgefährlich ist: Trump ist jemand, der seine Wahlniederlage gegen Joe Biden nicht wahrhaben wollte und stattdessen zum Sturm auf das Kapitol aufgestachelt hat.
Massiv gefährdet hatte das 2021 die für eine Demokratie so wichtige geordnete Übergabe der Macht. Trump ist ein schlechter Verlierer. Joe Biden nicht. Als Biden aus dem Wahlkampf ausgestiegen war, habe ich mich gefragt, ob diese Demut auch etwas mit seinem Katholisch-Sein zu tun hatte?
Immerhin gab es ausgerechnet in der katholischen Kirche ein Beispiel für einen mutigen Rücktritt: Papst Benedikt XVI. hatte im Februar 2013 in einer Kardinalsversammlung im Vatikan seinen Rücktritt angekündigt. „In voller Freiheit“, so sagte er damals, trat er als Bischof von Rom und Nachfolger auf dem Stuhl Petri zurück, aufgrund seines Alters und seiner nachlassenden Kräfte.
Ich empfinde nach wie vor Respekt für diesen damals mutigen und überraschenden Schritt, auch wenn mir das Gebaren des „Papa Emeritus“ in der Zeit danach weiß Gott nicht immer gefallen hat. Und Benedikt zog auch weiter Strippen. Wirklich loszulassen ist am Ende eine Haltungsfrage.
Beispielhaft und bedenkenswert ist der Ausspruch eines anderen Papstes. Für alle, die an einem Amt festhalten, ohne sich um einen Nachfolger zu kümmern oder die denken, dass es ohne sie nicht gehen kann und die ihre Niederlage nicht eingestehen wollen, sei hier Papst Johannes XXIII. zitiert. Von diesem sagt man, dass er zu seinem eigenen Spiegelbild immer wieder gesagt haben soll: „Giovanni, nimm dich nicht so wichtig!“
Egal, ob man in einer machtvollen Situation ist oder nicht: Diese kleine Übung vorm Spiegel schadet nicht, um das eigene Selbstbild in ein gesundes Licht zu rücken. Dass Donald Trump dieser Satz vorm eigenen Spiegel wahrscheinlich nie über die Lippen kommen würde, davon gehe ich aus.
Dass in den USA die Demokratie trotz eines solchen Egomanen standhaft bleibt, darauf hoffe ich an diesem denkwürdigen Tag. Und denke zugleich noch einmal dankbar an Joe Biden, der sich im entscheidenden Moment nicht so wichtig nahm.
Aus Düsseldorf grüßt sie Peter Krawczack mit einem herzlichen „God bless America“.