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Kirche in WDR 3 | 20.11.2024 | 07:50 Uhr
Kehrtwende
Guten Morgen.
Ein letzter Blick. Die Tür fällt ins Schloss.
Weg ist er.
Sie kann die Tränen kaum zurückhalten.
Da ist was zerbrochen.
Schon lange.
Keine großen Sachen. Keine schwere Schuld.
Auf den ersten Blick.
Auf den letzten Blick ist ihr klar:
Sie hat seine Signale zu lange nicht ernst genommen
– dass er gelitten hat, in der Beziehung.
Da ist was zerbrochen.
Jetzt ist er weg.
Und jetzt erst versteht sie, was ihr Anteil daran ist.
Wie groß und tief der Bruch ist.
Zu spät für einen U-turn – für eine Kehrtwende –
denkt sie.
Da ist was zerbrochen.
Ich kenne ähnliche Situationen. Sie vielleicht auch. Situationen, bei denen Sie sagen:
Stopp. Da läuft was schief. Da mach ich was kaputt. Da will ich was ändern.
Heute ist Buß- und Bettag. Ein evangelischer Feiertag. Ein Tag für einen ehrlichen Blick auf mein Leben. Ein Tag für notwendige Kehrtwenden.
Heute geht’s aber nicht nur um mich.
Am Buß- und Bettag geht es auch darum, wie wir als Gesellschaft zusammenleben und welchen Anteil daran die Kirche hat.
In der Kirche – denke ich – braucht es eine Kehrtwende. In den evangelischen Kirchen haben wir schwere Schuld auf uns geladen – in sehr, sehr vielen Fällen.
Wir sind dafür verantwortlich, dass Seelen zerbrochen sind – von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen.
Seelenmord nennen es mehrere Betroffene.
Ich spreche von sexualisierter Gewalt in den Kirchen.
Psychische und körperliche Gewalt in Ferienheimen und anderen kirchlichen und diakonischen Einrichtungen.
Ein Bruch mit allem, was heilig ist, lange unter der Decke des Schweigens.
Ausgerechnet bei uns in den Kirchen – da, wo man Schutz erwartet.
Die Folgen der Gewalt – sie sind bis heute spürbar. Für Menschen, die uns anvertraut wurden, die sich uns anvertraut haben. In Alpträumen, Depressionen, Flashbacks oder wenn man sich einfach nicht konzentrieren kann. In Schmerzen und Narben.
Übersehenes Leid – jetzt teilweise offenbar. Durch viele mutige Betroffene, Studien, journalistische und juristische Recherchen.
Und noch immer verstehen viele in unseren Kirchen nicht, wie groß und tief das Unrecht ist und das Leiden daran. Die Signale der Betroffenen – sie verhallen trotz vieler Maßnahmen noch immer viel zu oft ungehört. Auf allen Ebenen.
Oder werden abgewehrt mit den altbekannten Sprüchen: „Das ist doch schon so lange her. - Der? Die? Kann ich mir nicht vorstellen. – Bist du sicher?“ Und Schlimmeres.
Dabei wäre jetzt die Gelegenheit für einen U-Turn. Eine Kehrtwende.
Buß- und Bettag.
Buße bedeutet im christlichen Glauben umkehren. Zu Gott und zu den Mitmenschen.
Heute ist ein Tag, um innezuhalten und zu schauen. Was läuft schief in meinem Leben und im gesellschaftlichen und kirchlichen Leben. Und wo will ich was ändern. Das ist ein tiefgreifender innerer Prozess.
Mitgefühl kann helfen einen U-Turn im Leben zu machen.
Aus tiefer Erkenntnis von Schuld und wahrem Mitgefühl entstehen Taten:
- Anerkennung der Betroffenen und angemessene Anerkennungsleistungen für Betroffene sexualisierter Gewalt und anderer Gewalt,
- ein respektvoller Umgang in Beziehungen,
- und… - setzen Sie Ihre eigenen Gedanken hier ein.
Und dann ist da noch der zweite Teil des Buß- und Bettages.
Beten: Gott – lass mich erkennen, wo ich mich schuldig mache. Hilf mir, Wege zum Leben einzuschlagen. Sei da, wo ich schuldig geworden bin – mit heilsamer Kraft und Liebe.
Es grüßt Sie, Petra Schulze, Rundfunkpfarrerin in Düsseldorf.
Redaktion: Pfarrerin Julia-Rebecca Riedel