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Kirche in WDR 3 | 27.11.2024 | 07:50 Uhr
Die kleine Ikone
Sprecherin: „In der Küche der Familie gibt es eine sehr kleine Ikone mit dem Gesicht von Jesus. Die ist überhaupt nicht auffällig, aber sie steht da. Auf einem schmalen Absatz, einer Leiste, wo die Mutter sie irgendwann einmal hingestellt hatte. Jetzt gibt sie sie nicht mehr her. Die Ikone steht da als eine Erinnerung und eine Einladung. Wie ein Blick, der sie anschaut. Wenn sie die Ikone ansieht, wandern ihre Gedanken zu Jesus, und sie erinnert sich daran, dass er in der Nähe ist. In ihrem Leben, in ihrer Küche. An diesem ganz normalen Alltagstag. Manchmal kommt es vor, dass sie die Ikone in die Hand nimmt und eine Weile festhält. Wie ein Gebet.“ (1)
Guten Morgen! Auf meinem Schreibtisch liegt ein dickes schwedisches Gebetbuch. Seit fast 15 Jahren begleitet es mich fast jeden Tag, und so sieht es mittlerweile auch aus: gut durchgebetet. Im hinteren Umschlag ist ein Bild von einer Ikone mit der Gottesmutter Maria, und daneben steht die Geschichte von der kleinen Jesus-Ikone in der Küche. Die schwedische Theologin Lena Bergström hat sie aufgeschrieben, wie ein kleines Gedicht.
In der Familienküche steht die kleine Ikone auf einem schmalen Absatz, und wenn man nicht von ihr weiß, würde man sie fast übersehen. Eine Ikone ist ein Bild einer heiligen Person, das nach ganz bestimmten Regeln gemalt wird – die orthodoxen Christinnen und Christen sagen, Ikonen werden „geschrieben“. Das Besondere ist: Die Menschen auf Ikonen schauen geradeaus auf den Betrachter. Als würde es nicht darum gehen, dass ich die Ikone ansehe, sondern dass sie mich ansieht. Die Heiligen darauf haben immer einen neutralen Gesichtsausdruck. Sie wollen mich nicht aufmuntern oder von meinem Stresslevel runterholen – sie sind einverstanden damit, wie es mir heute geht.
Für die Mutter der Familie ist die kleine Ikone eine Erinnerung und eine Einladung. Sie erinnert daran, dass Gott uns nahe ist. Nicht nur in der Kirche und nicht nur beim Beten, sondern auch in der Küche, beim Kochen und Spülen, beim Essen und Streiten, an jedem ganz normalen Alltagstag. Der Apostel Petrus sagt in der Bibel:
Sprecherin: „Gott wollte, dass die Menschen nach ihm suchen – ob sie ihn vielleicht spüren oder entdecken können. Denn keinem von uns ist er fern. Durch ihn leben wir doch, bewegen wir uns und haben wir unser Dasein.“ (2)
Und dann ist die Ikone eine Einladung zum Gebet. Die Mutter macht das ganz praktisch: Sie nimmt die kleine Ikone in die Hand und hält sie einen Augenblick fest. Ich stelle mir das zärtlich und liebevoll vor, wie sie die Ikone für einen Moment in ihren Händen wiegt. Wie ein Gebet.
So ist Gott: riesengroß und alltagsklein.
Heute werde ich das versuchen: Ich mache die Augen und die Hände auf für die Nähe Gottes in meinem Leben. Machen Sie mit?
Ihr Pfarrer Steffen Riesenberg aus Bottrop.
Quellen:
(1) Gedicht: Lena Bergström: Att ge plats för en annan, Stockholm 2002, (Übersetzung Steffen
Riesenberg)
(2) Bibeltext: Apostelgeschichte 17,27–38, zitiert aus der Basisbibel.
Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze