Beiträge auf: wdr3
Kirche in WDR 3 | 03.12.2024 | 07:50 Uhr
Die verschwundene Predigt
Ich bin inzwischen seit über 15 Jahren Priester und habe unzählige Gottesdienste gefeiert. Aber heute möchte ich ihnen von einem erzählen, den vergesse ich bestimmt nicht.
Das Ganze war passiert in der katholischen Innenstadtkirche von Dortmund – und zwar so: Es ist Sonntagmittag gegen 12 Uhr, die Bänke sind gut gefüllt, die Gemeinde singt kräftig. Alles verläuft planmäßig...bis zur Predigt. Denn als ich den Ablageort meines Manuskriptes abtaste, greif ich ins Leere. Nichts! Die Zettel mit meinen Gedanken zu den Bibeltexten sind einfach nicht da, wo sei sein sollten. Zunächst bin ich völlig verwirrt – schaue dreimal ungläubig auf das kleine Brett in der Mitte des Lesepults.
Es hilft ja nichts: Jetzt muss ich wohl allen mein Problem erklären: „Meine Predigt ist verschwunden! Vielleicht ist sie ja noch in der Sakristei.“, sag ich. Eine Messdienerin ergreift sofort die Initiative und geht in den Raum, in der wir uns auf den Gottesdienst vorbereiten.
Nun stehe ich allein da vorne, hunderte Augen sind auf mich gerichtet, die Aufmerksamkeit aller ist mir sicher. Ich bringe ein paar Sätze heraus, vermutlich ist mein Kopf leicht gerötet. Aber die Messdienerin kommt einfach nicht zurück. Die Minuten kommen mir vor wie die Ewigkeit. Ich schweige – aber diese Stille ist mir unangenehm, ich will etwas tun.
Also gehe ich jetzt selbst in die Sakristei, wo die Küsterin aber nur mit den Achseln zuckt: „Keine Ahnung, hier ist die Predigt nicht!“
Was soll ich tun? Es rattert in meinen Kopf: Soll ich die Predigt ausfallen lassen und die Menschen enttäuschen? Oder einfach mal loslegen und schauen, was passiert?
Das ist aber eigentlich völlig gegen meinen Wunsch nach Ordnung und guter Vorbereitung. Jetzt stehe ich da, ohne Manuskript. Nur als Mensch, der das mitbringt, was er gerade im Kopf hat. Ich probiere es: Irgendwas von deinen notierten Gedanken muss ja wohl noch da sein – denke ich mir!
Und? Es läuft richtig gut: Mein Herz rast zwar, aber aus meinem Mund sprudeln die Gedanken: von Jesu Wut auf die Ungerechtigkeiten der Welt, seiner Vision eines anderen Zusammenlebens und auch einige aktuelle Bezüge kommen mir in den Sinn. Die Gläubigen in der Kirche hören genau zu, ein paar Verstolperer stören offenbar niemanden. Noch Tage später sprechen mich Menschen in der Stadt an auf die verschwundene Predigt: einige waren dabei, andere haben davon gehört!
Es ist Advent. Und diese Erfahrung war mir eine gute Lektion für diese Zeit. Denn eigentlich mag ich Struktur, plane langfristig und habe Dinge gerne unter Kontrolle.
Die Adventszeit ist ja nur vordergründig eine gut strukturierte Zeit: Sogar mit eigenem Kalender und einer Fülle an festen Traditionen.
Denn der Advent geht auf Weihnachten zu. Und Weihnachten feiert eine ziemliche Überraschung: Der große Gott wird ein kleiner Mensch. Gott lässt sich ein auf diese mitunter chaotische Existenz eines Menschen. Von der Krippe bis zum Kreuz.
Auf mein Leben bezogen sagen mir Advent und die verschwundene Predigt:
Kleb nicht so sehr an deinen vorformulierten und abgesicherten Gedanken. Lös dich vom Geländer des Predigtmanuskriptes, des Terminkalenders und den Bildern über deine Mitmenschen.
Oder ganz kurz und knapp: Bleib locker, es kommt eh alles anders, als du denkst! Und das ist auch gut so. „Mach’s wie Gott und werde Mensch“ – auf diese einfache Formel hat es einmal der kürzlich verstorbene Bischof Franz Kamphaus gebracht.
Mensch werden – das ist ein gutes Programm für den Advent, findet Pastor Simon Schwamborn aus Dortmund