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Kirche in WDR 3 | 10.03.2025 | 07:50 Uhr
Gaza oder: Das Feuer löschen
Seit neun Jahren lebe und arbeite ich in Israel für den Deutschen Verein vom Heiligen Lande. Aber erst vor etwa zwei Jahren – also vor dem jüngsten Krieg dort – war ich zum ersten Mal in Gaza. Zusammen mit meinem Chef wollte ich mir ein Bild machen von der Lage der Christinnen und Christen dort – denn unser Verein engagiert sich auch für sie.
Mich hat damals bereits sehr beeindruckt, unter welchen Bedingungen die kleine Gemeinschaft ihren Glauben lebt und bewahrt. Gut tausend Menschen waren es zu der Zeit, davon 136 Katholiken. Dass die sogar eine eigene Kirche haben, hängt mit dem Priester Georg Gatt zusammen, der vor fast 150 Jahren mit Geldern unseres Vereins dort eine Missionsstation errichtet hat. Aus ihr entstand die Kirchengemeinde Zur Heiligen Familie. Aber das ist eine andere Geschichte.
Ich muss bis heute viel an die Christen in Gaza denken und habe mich deshalb auch ein bisschen mit der christlichen Geschichte der Region beschäftigt. Dabei habe ich entdeckt: In frühchristlicher Zeit haben in der Gegend zahlreiche christliche Mönche gelebt. Ein Hilarion aus Gaza hat diese Lebensform überhaupt erst ins Heilige Land gebracht. Und bemerkenswert ist: Diese Mönche haben in ihren Gemeinschaften sehr ernsthaft versucht, die vielen kleinen Kriege, das Urteilen übereinander, das Nachtragen von Verletzungen zu beenden. Das war ihr Weg, die Botschaft Jesu vom Frieden zu leben. Einer von ihnen, Dorotheus von Gaza, schrieb im 6. Jahrhundert:
„Wer einen Herd anzündet, hat zuerst nur eine kleine Glut. Dem entspricht ein Wort eines verletzenden Bruders. Sieh, noch ist es eine kleine Glut, denn was ist schon das Wort eines Bruders? Wenn du es erträgst, hast du die Glut ausgelöscht. Wenn du aber dabei bleibst zu denken: ‚Warum hat er das zu mir gesagt? Auch ich habe ihm etwas zu sagen! Und wenn er mich nicht hätte verletzen wollen, so hätte er es nicht gesagt. Glaube nur – auch ich habe das Recht ihn zu verletzen!‘, sieh, dann hast du kleine Hölzer (in die Glut) geworfen wie der, der den Herd anzündet.“
Genau so eskalieren Konflikte! Bis heute! Am Ende liegt alles bildlich oder tatsächlich in Schutt und Asche.
Es gibt die kleine christliche Gemeinschaft von Gaza noch immer – und die meisten Mitglieder wollen auch in ihrer Heimat bleiben. Fast alle leben sie im Moment auf dem Gelände rund um die Kirche. Ordensschwestern und Priester kümmern sich um elementarste Bedürfnisse. Sie stehen selbst am Backofen, wenn es Mehl gibt, und backen Brot, verteilen es auch an die Menschen in der Umgebung. Alle haben sehr viel, fast alles verloren. Es gibt zu wenig Lebensmittel. Von medizinischer Versorgung ganz zu schweigen. Manches Gemeindemitglied ist deshalb gestorben. Andere wurden von Scharfschützen erschossen.
Und dennoch: Die Christen feiern auch weiter täglich ihre Gottesdienste. Ich habe Bilder gesehen, die ein Fotograf während der Osternacht im vergangenen Jahr, mitten im Krieg, aufgenommen hat: gezeichnete, aber zugleich gefestigte Gesichter, eine Kerze in der Hand. Das geht mir durch und durch, wenn ich daran denke.
Als der Lateinische Patriarch von Jerusalem, Kardinal Pizzaballa, die Gemeinde vor fast einem Jahr besuchte, sagte er:
„Wir wollen keine Macht, aber wir wollen stark sein, und ich habe festgestellt, dass Sie sicherlich müde sind, sehr müde, aber dass Sie stark sind. Ein Zeichen dafür ist, dass ich in all meinen Gesprächen mit Ihnen kein einziges Wort des Ärgers gehört habe. Das ist ein Zeichen von Stärke.“[1]
Ja, es sind starke Menschen, auch wenn sie keine Macht haben. Menschen, die das Feuer des Nachtragens, des Ärgers, des Wunsches nach Vergeltung gelöscht haben. Einer von ihnen hat kürzlich gesagt: „Als Christen haben wir keine Gewalt im Blut.“ Ja, es sind würdige Erben der Mönche von Gaza und würdige Nachfolger Jesu, dessen Flucht nach Ägypten einst durch Gaza geführt haben soll.
Aus dem Heiligen Land grüßt sie Georg Röwekamp
[1] Vgl. https://www.americamagazine.org/faith/2024/05/21/cardinal-pizzaballa-gaza-holy-family-247991