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Kirche in WDR 3 | 08.05.2025 | 07:50 Uhr
Das Leben ist schön
Guten Morgen!
Heute vor 80 Jahren war der 2. Weltkrieg vorbei. Über 60 Millionen Opfer hatten diesen Tag der Befreiung nicht mehr erlebt. Zu ihnen gehört Etty Hillesum, eine junge, niederländische Jüdin, eine für mich wichtige Lehrmeisterin. Mitten im besetzten Amsterdam studiert Etty Hillesum noch intensiv den Dichter Rilke und den Psychologen C.G. Jung, auch die Bibel und Augustinus. Der Arbeit an sich selbst stellt sie sich in einer Therapie. Im Tagebuch-Schreiben sucht sie Klarheit. Nach ihrem Einsatz im Übergangslager notiert sie:
„Ich wünschte,
ich könnte alles mit Worten bewältigen, diese zwei Monate hinter dem
Stacheldraht, die zu den intensivsten und reichsten Monaten meines Lebens
gehören …[1]
Es steigt immer wieder wie eine kleine,
wärmende Welle in mir auf, auch nach den schwersten Momenten: Wie schön das
Leben ist! Es ist ein unerklärliches Gefühl.“[2]
Diese zähe Freude am Leben widersteht der aussichtslosen Lage, in der Etty sich befindet. Sie macht sich nichts vor: Früher oder später wird man auch sie deportieren und ermorden. Doch sie hält daran fest: Es gibt noch andere Realitäten! Der zu erwartende Tod ist nicht die einzige. Da sind dieser knorrige Baum vor ihrem Fenster und der weite Horizont, da sind ihre Freundinnen und Freunde. Und da ist noch etwas, was sie selbst nicht fassen kann:
Diejenigen, die sagen: ‚Du lebst zu intensiv‘, wissen nicht, dass man sich in ein Gebet wie in eine Klosterzelle zurückziehen kann und dann mit erneuerter Kraft und wiedergewonnener Ruhe weitergeht. … Wenn man nach einem langen und mühsamen Prozess, zu den Urquellen in sich vorgedrungen ist, die ich nun einmal Gott nennen möchte, und wenn man dafür sorgt, dass dieser Weg zu Gott frei bleibt – und das geschieht durch ‚Arbeit an sich selbst‘ –, dann erneuert man sich immer wieder an dieser Quelle …“[3]
Gerade in aussichtslosen Zeiten wünsche ich Ihnen und mir: Zu den göttlichen Urquellen in sich vordringen zu können und zu merken: Wie schön – trotz allem – das Leben ist!
Aus Aachen grüßt Georg Lauscher.
[1] Ebd. 659. [2] Ebd.673. [3] Ebd. 677.