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Kirche in WDR 3 | 13.05.2025 | 07:50 Uhr
Heiliger
Guten Morgen.
Für unsere kleinen Kinder ist er ein Heiliger. Herr B. bringt uns über
Jahre einmal im Monat Tiefkühlkost ins Haus. Er kommt meist um die Mittagszeit.
Dann fährt er mit dem Kühlwagen vor, klingelt und nimmt auf, was wir uns aus
dem Katalog aussuchen: Suppengemüse, Spinat, Maultaschen, was wir so für die
schnelle Küche brauchen. Die Kinder suchen das Eis aus. Manchmal bekommen sie ein
kleines Eis von Herrn B. gratis auf die Hand. Das ist die Krönung: Jemand, mit
dem sie sonst nichts zu tun haben, kommt „einfach so“ vorbei und bringt Eis!
„Herr B. ist sehr nett!“, sagt unser kleiner Sohn voller Bewunderung. Das
Geschäftliche ist ihm noch verborgen.
Das „Herr B. ist sehr nett!“ klingt in mir nach. Bald freue ich mich auch auf Herrn B.. Er ist immer so geduldig, wenn ich mich mal wieder nicht entscheiden kann. Manchmal empfiehlt er mir dann etwas, unaufdringlich, mehr wie ein Freund, der weiß, was wir mögen und was auch nicht. Er hat ein unglaubliches Gedächtnis für das, was zu unserer Standardbestellung gehört. Wenn ich ein Teil vergessen habe, fragt er: „Heute keinen Spinat?“ „O doch, natürlich. Gut, dass Sie daran gedacht haben.“ Er rät auch ab: „Das Fleisch ist wirklich schlecht.“ Und ein anderes Mal: „Kleiner Tipp: Das können Sie selbst billiger machen.“ Mir wird Herr B. dadurch nur noch lieber.
Hin und wieder erzählen wir uns zwischen Tür und Angel was. Was Kleines. Aber nicht Unbedeutendes. „Ich war ein glühender Sozialist“, sagt er einmal und setzt hinzu: „Ich habe daran geglaubt“, als würde ich verstehen, was es heißt, vom Glauben in der Vergangenheit sprechen zu müssen. Er bekommt Freude und Trauer in meiner Familie mit: Lieben Besuch. Einschulung. Mein Vater gestorben. Er erwähnt, als seine Frau schwer erkrankt. Wir machen nie viele Worte. Aber die wenigen fallen weich. Wenn wir krank sind, machen wir ihm auch im Bademantel die Tür auf. Vor ihm ist es uns nicht peinlich. Einmal bringt er uns ein Rezept mit: Geschmolzene weiße Schokolade in Joghurt und Sahne und obendrauf eine dicke Schicht tiefgefrorener Himbeeren. „Ein bisschen antauen lassen, dann schmecken sie am besten. Ich hab’s zu Hause ausprobiert.“ Das gibt‘s bei uns seitdem immer an Festtagen.
Herr B. begleitet uns mit seiner Freundlichkeit viele Jahre. Dabei haben wir lange gar nicht seinen vollen Namen gekannt. Das beschämt mich heute. Eines Tages sagt er: „Nächsten Monat komme ich das letzte Mal.“ Er hat eine Stelle als Berater im Arbeitslosenzentrum bekommen, und so ganz nebenbei bekomme ich mit, dass er dort schon seit Jahren ehrenamtlich arbeitet. Er ist vielleicht doch ein Glaubender geblieben, einer, der an Gerechtigkeit glaubt und dass das Gute nur ein bisschen Anschub braucht.
Wir vermissen ihn. Bald bestellen wir die fahrende Tiefkühlkost ab. Ohne Herrn B. ist es nicht mehr das Gleiche. Die ungekünstelte Freundlichkeit fehlt uns, das Ehrliche, das Unaufdringliche. Einmal sehen wir ihn noch, als er eines sonntags in der Kirche auftaucht. Seine Frau ist gestorben. „Vielleicht ist da ja doch noch mehr, als ich dachte“, sagt er am Ausgang. Das war’s.
Manche Menschen wissen gar nicht, welche Bedeutung sie für unser Leben haben. Und wir wissen es auch nicht, bis wir sie vermissen.
Es grüßt Sie, Pfarrerin Christel Weber aus Bielefeld.
Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze