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Sonntagskirche | 20.04.2014 | 08:55 Uhr
Hier bin ich Mensch...
Guten Morgen, liebe Hörerinnen und Hörer – und: frohe Ostern! Ich hoffe, sie sind gut durch die Nacht gekommen. Vielleicht war die ein wenig kürzer als sonst – schließlich gab es etwas zu feiern. Christinnen und Christen auf der ganzen Welt haben in der vergangenen Nacht die unglaubliche Botschaft von der Auferstehung Jesu gehört und dann ausgiebig gefeiert. Mal laut, mal ganz still und beschaulich. Eine ganz besondere Nacht, die da zu Ende gegangen ist – die Osternacht. Sie wurde vielerorts von vielen tausend Lichtern erhellt – Zeichen des Lebens-Sieges über den Tod.
Und jetzt, beim Osterfrühstück, wachen die Lebensgeister hoffentlich bei entsprechend österlich-sonnigem Wetter wieder auf: Tief durchatmen, den Tag einfach genießen. Vielleicht Zeit und Gelegenheit zu einem Osterspaziergang haben.
Johann Wolfgang von Goethe beschreibt im ersten Teil seines „Faust“ einen solchen Osterspaziergang. Für mich eine der schönsten Passagen in diesem Werk. Das Durchatmen wird förmlich spürbar, die Befreiung vom Winter greifbar. Der ist überwunden, und, so Goethe: „Jeder sonnt sich heute so gern. Sie feiern die Auferstehung des Herrn, denn sie sind selber auferstanden...“ Das schreibt der Dichterfürst in seinem Osterspaziergang. Ich wünsche mir, dass Sie das heute Morgen auch von sich sagen können: „selber auferstanden“ zu sein.
Das mit der Auferstehung ist keine alte Geschichte, die seit zweitausend Jahren einfach nur immer und immer wieder erzählt wird. Auferstehung betrifft jeden von uns. Auferstehung funktioniert nur, wenn wir beteiligt sind. Goethe nennt da einige Beispiele:
„Aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern,
Aus Handwerks- und Gewerbesbanden,
Aus dem Druck von Giebeln und Dächern,
Aus der Straßen quetschender Enge,
Aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht
Sind sie alle ans Licht gebracht...“
Enge und Niedrigkeit sind Vergangenheit. Weite und Höhe sind die Markenzeichen dieses Ostermorgens. Die Auferstehung, so erzählt die Bibel, funktioniert erst, als die Freunde von Jesus den Blick aus dem leeren Grab hinaus in den sonnigen Ostermorgen wagen. Nicht der Blick in das Grab, in die muffige Enge, in die dunkle Vergangenheit bringt sie auf den Gedanken, dass Jesus auferstanden sein könnte. Sie müssen sich schon umdrehen und den Blick ins Licht wagen. Auch wenn der ungewohnt ist, auch wenn das helle Licht vielleicht im ersten Moment an den Augen schmerzt: Da finden sie das neue Leben, da sind sie mittendrin in der Auferstehung.
Ich wünsche ihnen, dass sie ebenfalls diesen Blick in das Licht wagen können. Der ist zwar im ersten Augenblick ungewohnt, schmerzt vielleicht sogar. Aber es ist der Blick in ein neues Leben. Die alte, dunkle Vergangenheit darf weiter sein – aber sie steht nicht mehr im Blickpunkt. Sie gehört zu unserer persönlichen Geschichte dazu, aber sie bestimmt nicht allein unsere Zukunft. Das ist die Botschaft der vergangenen Nacht. Und das ist die Botschaft, die Goethe am Ende seines Osterspaziergangs im Faust I fröhlich ausrufen lässt: „Zufrieden jauchzet groß und klein: Hier bin ich Mensch, hier darf ichs sein!“
„Mensch sein“ dürfen, einfach so – ist das nicht so etwas wie ein Grundbedürfnis, etwas, nach dem wir uns ständig sehnen? Jenseits aller Errungenschaften des Lebens – einfach „Mensch sein“? Ich weiß, dass das mit dem „Mensch sein“ oft gar nicht so einfach ist. Aber heute, am Ostermorgen kann man es doch einfach noch einmal wieder wagen. Ja, „Mensch sein“ ist ein Wagnis, keine Selbstverständlichkeit, nichts, was uns einfach von der Hand geht. Denn „Mensch sein“ geht immer nur mit anderen Menschen zusammen. Und da gibt es eben so manche Situation, die es uns schwermacht ganz einfach Mensch zu sein. Heute Morgen, mit der unglaublich frohen Botschaft der vergangenen Nacht im Rücken, könnte das wieder einmal gelingen. Dass wir Menschen sind, zeigt sich vielleicht schon morgen wieder, wenn wir es hier und da wieder schwer miteinander haben. Aber keine Angst – der immer wieder neue Versuch Mensch zu sein ist nicht strafbar oder gar verboten. Es ist das Geschenk, das Gott uns letztlich selbst macht, indem er diese Versuche immer wieder neu ermöglicht.
Ein frohes „Mach’s wie Gott – werde Mensch – hier darfst du es sein!“ wünscht ihnen zum Osterfest Ulrich Clancett aus Jüchen.