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Kirche in WDR 4 | 11.11.2013 | 08:55 Uhr
Sankt Martin
Dicht gedrängt stehen die Menschen an einem Morgen im Jahr 385 auf dem Marktplatz von Trier. Hier hat der weströmische Kaiser seine Residenz. Es herrscht gespannte Aufregung. Jeder will den besten Platz. Da kommen sie! Endlich tut sich was! Das grausame Schauspiel geht los. Sieben Leute werden gefesselt auf den Platz geführt. Allen sieht man an, dass sie brutal gefoltert worden sind.
Und die Vorgeschichte? Der spanische Bischof Priscillian von Avila wollte damals in der Kirche radikale, strenge Sitten einführen. Er forderte zur allgemeinen Ehelosigkeit auf und zum Verzicht auf Fleisch und Wein. Zu allem Überfluss wollte er auch noch ein Ende der Sklaverei und die Gleichstellung von Frauen.
Damit machte er sich freilich keine Freunde. Seine Lehre stieß vielmehr auch innerkirchlich auf Kritik und wurde von seinen Gegnern auf einer Konferenz in Trier, die unter dem Kaiser einberufen worden war, als Ketzerei verurteilt.
Die gegnerischen Parteien schalteten daraufhin beide den Kaiser in die Auseinandersetzung ein. Doch Priscillians Gegnern gelang es, ihn wegen Magie und Schadenszauber anzuschwärzen. Darauf stand nach römischem Recht die Todesstrafe. Ein kluger Schachzug der Gegner von Priscillian!
Wieso ich Ihnen diese Geschichte gerade heute erzähle? Na, heute ist Martinstag. Martin? Ja genau, der mit dem Mantel, dem Helm mit der roten Bürste und dem Schwert. Was hat Martin mit dieser Geschichte zu tun? Martin war zu dieser Zeit längst nicht mehr Soldat, sondern bereits Bischof von Tours in Frankreich. Er war ein Zeitgenosse Priscillians. Die beiden waren Bischofskollegen. Martin lehnte Priscillians rigorose Auffassungen zwar ab. Aber er wehrte sich entschieden gegen die Todesstrafe für Menschen mit anderen Auffassungen. Er war der Meinung: mit Andersdenkenden sollte man reden. Aber man sollte sie nicht umbringen!
Martin reiste deshalb extra von Tours nach Trier, um sich für seinen spanischen Bischofskollegen Priscillian einzusetzen. Er protestierte beim Kaiser und fand auch Gehör. Der Kaiser und seine Ehefrau zeigten sich sogar beeindruckt von Martins Engagement!
Doch der Kaiser wurde wortbrüchig. Nachdem Martin wieder abgereist war, wurden Priscillian und sechs seiner Anhänger zum Tode verurteilt und auf dem Marktplatz von Trier verbrannt. Zuvor wurden sie solange gefoltert, bis sie das gestanden, was man ihnen vorgeworfen wurde. Die Staatsraison hatte gesiegt. Und die kirchlichen Gegner von Priscillian hatten ihr Ziel erreicht! Sie waren den ketzerischen Querkopf los.
Wo wäre man da auch hingekommen! Gleichstellung von Frauen, Ende der Sklaverei?! Beide Ziele sind ja bis heute nicht erreicht! Frauen verdienen noch immer vielerorts weniger Geld als Männer - für dieselbe Arbeit.
Die Sklaverei könnte man zumindest hier bei uns als beendet betrachten. Gäbe es da nicht die Lohnsklaven unserer Tage! Zum Beispiel Bauarbeiter aus Osteuropa, die in beengten, schmutzigen Unterkünften leben und zu Dumpinglöhnen arbeiten, damit die großen Bauunternehmer noch mehr Geld verdienen.
Martin, dieser mutige und unerschrockene Mann, liebte die Gerechtigkeit! Er hätte gegen solche moderne Sklaverei protestiert! So wie er sich damals mit der weltlichen Macht, dem Kaiser anlegte, und kein Blatt vor den Mund genommen hatte, um seinen Bischofskollegen Priscillian vor dem Ketzertod zu retten. Denken Sie doch daran, wenn Sie heute Abend im Kreis ihrer Familie oder im Freundeskreis ihre Martinsgans essen.
„Guten Appetit!“ wünscht Ihnen Pfarrer Frank Küchler aus Troisdorf.